Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,
gestern erreichte uns die gute Nachricht, dass die Grande Dame der russischen Flüchtlingshilfe Swetlana Gannuschkina mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wird. In meinem Büro herrschte große Freude, denn Gannuschkina ist uns seit vielen Jahren eine gute Freundin. Sie ist eine unermüdliche Kämpferin für Würde und Rechte von Flüchtlingen und Migranten, die im heutigen Russland im besonderen Maße mit Rechtlosigkeit, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit konfrontiert sind. Mit großer Klugheit, Zähigkeit und Kraft begleiten Gannuschkina und ihre Kolleginnen die Opfer verbrecherischer Politik des Kreml in Tschetschenien. Diejenigen, die das tun, leben in großer Gefahr. Zwei ihrer Weggefährtinnen – die todesmutige Journalistin Anna Politkowskaja und die unbeugsame Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa - wurden brutal ermordet. Beide Morde wurden bis heute nicht aufgeklärt.
Den 10. Jahrestag der Ermordung von Anna Politkowskaja haben wir gestern zum Anlass genommen, die besorgniserregenden Entwicklungen in unserem Nachbarland zu diskutieren und unseren grünen Russlandantrag einzubringen. Darin sprechen wir das Angebot für eine enge Partnerschaft an Russland aus. Die wird dann möglich, wenn der Kreml zu Demokratie und Menschenrechten zurückkehrt und internationale Verpflichtungen wieder einhält. Immerhin hat sich Russland aus freien Stücken im Rahmen des Europarats und der OSZE zur Achtung von Demokratie und Menschenrechten verpflichtet. Doch die Menschenrechtslage in Russland hat sich seit der Rückkehr Wladimir Putins ins Präsidentenamt weiter verschlechtert. Sein politischer Kurs führt Russland immer weiter weg von Demokratie und internationalen Verpflichtungen und Standards. Das hat erschütternde Konsequenzen für die gesamteuropäische Friedensordnung.
Die von den Repressionen Betroffenen brauchen unsere Unterstützung und Solidarität. Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, sich stärker für die MenschenrechtsverteidigerInnen in Russland einzusetzen. Gleichzeitig wollen wir klar machen: Russland gehört zu Europa. Und neben einem klaren Bekenntnis zu universellen Werten kann mehr gesellschaftlicher Austausch dazu beitragen, Anzeichen von Entfremdung entgegenzuwirken.
Schauen wir auf Russland heute: Die Duma-Wahlen am vergangenen Sonntag sind äußerlich einigermaßen korrekt orchestriert worden. Das Ergebnis führt im Parlament zu einer hundertprozentigen Unterstützung der Putinschen Politik und zu einer verfassungsändernden Mehrheit für „Einiges Russland“. Die eigentliche Botschaft dieser Wahlen haben allerdings die Nichtwähler vermittelt. Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten russischen Bevölkerung glaubt nicht mehr daran, dass sie mit einer Wahlstimme Einfluss nehmen könnten: In Moskau und St. Petersburg, den modernsten Städten Russlands, stimmten nur 35 und 32,5 Prozent der Wahlberechtigten ab. Daraus lässt sich keineswegs eine überwältigende Unterstützung für Putins Kurs ableiten.
Und offenbar wurde das im Kreml vorausgesehen. Denn schon am Tag nach der Wahl lagen die Zukunftspläne für die Neugestaltung des Sicherheitsapparats auf dem Tisch. Der Personenschutz von Präsident und Regierung, der Auslandsgeheimdienst und das Katastrophenschutzministerium sollen auf der Basis des Geheimdienstes FSB zusammengeführt werden. Es soll wieder ein übermächtiges Ministerium für Staatssicherheit geben. Das erinnert fatal an die Strukturen des KGB, von dem 1990 die russische Bevölkerung glaubte, seine Zeiten seien endlich beendet.
Wir stellen klar: Wir sind der russischen Bevölkerung freundschaftlich verbunden. Wir sind besonders denen nahe, die unter den extremen Bedingungen dennoch für eine offene Gesellschaft kämpfen. Kritik am Kreml bedeutet nicht Kritik an Russland. Die aggressiven und spaltendenden Angriffe des Kreml auf die europäische Sicherheitsordnung und Nachbarländer und die antiwestliche Propaganda in russischen Medien dürfen nicht zu einer neuen Teilung Europas führen. Gerade wenn die offiziellen Beziehungen erschwert sind, ist der Austausch mit den Menschen umso wichtiger. Deshalb fordern wir in unserem Antrag:
- Die Bundesregierung soll im Rahmen des diesjährigen deutschen OSZE-Vorsitzes und darüber hinaus ausdrücklich auf der uneingeschränkten Gültigkeit der Vereinbarungen aus der Schlussakte von Helsinki und der Charta von Paris bestehen und jede Verletzung der OSZE-Prinzipien entschieden zurückweisen.
- Freilassung und Rehabilitierung aller politischen Gefangenen;
- stärkere, effektive und unbürokratische Unterstützung der Zivilgesellschaft;
- Lockerung der EU-Visabestimmungen und eine perspektivische Aufhebung der Visumspflicht.
Wer wirklich ein Freund Russlands sein möchte, der sollte die Möglichkeit des Reisens für die russische Bevölkerung endlich einfach und unkompliziert gestalten und zeigen: wir warten auf euch, die Tür bleibt offen.
Herzliche Grüße
Eure und Ihre Marieluise Beck