Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr

Am 22. Juni 2017 debattierte der Deutsche Bundestag über die Verlängerung des Mandats der Bundeswehr für den Einsatz im Kosovo. 

Sehen Sie hier das Video der Rede von Marieluise Beck:

Lesen Sie hier den Redetext nach:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Erler, lieber Kollege Jung, solche Abschiede gehören zum Wesen der parlamentarischen Demokratie; denn sie bedeuten Wechsel und Rotation. Sie bringen immer etwas Wehmut mit sich. Deswegen möchte auch ich an dieser Stelle Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, dass wir in den vergangenen Jahren immer, und zwar ausnahmslos, mit Respekt miteinander umgegangen sind und sehr fruchtbar miteinander arbeiten konnten. Schönen Dank dafür.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben wegen der Parlamentsgebundenheit von Bundeswehreinsätzen im jährlichen Rhythmus – das schon seit vielen Jahren – immer wieder Debatten um Mandate. Das bringt das Problem mit sich, dass manchmal die politische Komplexität, die hinter diesen Mandaten steckt, ein wenig unterzugehen droht. Deswegen möchte ich heute gerne die Gelegenheit ergreifen, nicht nur über das Kosovo, sondern über den gesamten Westbalkan zu sprechen.
 
Mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ukraine, mit der noch größeren Katastrophe in Syrien, mit dem Failed State Libyen scheint das Kosovo und der Westbalkan eigentlich eine Region zu sein, die relativ ruhig ist und auf die wir nicht so stark schauen müssen. Hier, meine ich, sollten wir im Sinne eines vorsorgenden Blicks etwas genauer hinschauen. Der Westbalkan ist in keiner guten Verfassung. Leider muss ich sagen, dass ich mehr Brisanz und mehr Sprengstoff in der Region sehe, als bei uns öffentlich wahrgenommen wird.
 
Wenn wir uns noch einmal die Situation in den Folge­republiken des ehemaligen Jugoslawiens anschauen, so stellen wir fest: Slowenien ist auf einem guten Weg. Es ist langjähriges Mitglied der Europäischen Union. Auch Kroatien ist unter dem Dach der Europäischen Union, obwohl es immer wieder starke innenpolitische Herausforderungen gibt. Serbien stellt sich stabil dar. Darüber gibt es bei uns eine große Erleichterung. Allerdings sollten wir ehrlicherweise zugeben, dass diese Stabilität einen politischen Preis hat; denn es gibt in diesem Land starke autoritäre Tendenzen, die ausgehen von dem jetzigen Präsidenten und ehemaligen Premier Vucic. Wir sollten sehr entschieden bleiben und die Augen nicht verschließen, weil wir Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit haben. Die innere Verfasstheit des heutigen Serbiens passt nicht zum Wertekanon der EU. Es bleibt da also noch sehr viel zu tun.
 
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
 
Bosnien und Herzegowina sind in einem dysfunktionalen Staatsaufbau festgefahren, den die internationale Gemeinschaft mit zu verantworten hat. Das Land findet aber auch nicht die eigene politische Kraft, sich daraus zu befreien. Es gibt nationalistische Tendenzen, und die entsprechenden Kräfte nutzen diese Dysfunktionalität, um ihre Machtposition zu stabilisieren. Es ist ein Land in besorgniserregender Agonie. Die Jungen und gut Ausgebildeten verlassen das Land. Ich meine, wir sollten hier ehrlich genug sein, um festzustellen, dass die Frage, wie man diesem Land die positiven Impulse, die es eigentlich bräuchte, von außen geben könnte, bei uns eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt. Immer mal wieder droht Herr Dodik mit einer Sezession, vielleicht nur spielerisch – wir wissen es nicht so genau. Aber auch das destabilisiert das Land immer wieder.
 
Mazedonien befindet sich im Würgegriff einer autoritären Clanstruktur. Der Weg in eine politische Transformation war durch ungeheuerliche Vorgänge im Land lange verstellt, und es droht immer das Wiederaufflammen der ethnischen Konflikte in diesem albanisch-slawischen Land. Es bleibt also bei der Fragilität dieses Landes. Über all dem – das ist eben ausführlich dargelegt worden – schwebt das Damoklesschwert der Fantasie von einem ethnisch homogenen Großalbanien, und eine solche Entwicklung würde das Land tatsächlich wieder in Flammen setzen. Dass die Partei von Albin Kurti, einem Nationalisten und erklärten Großalbaner, bei den Wahlen im Kosovo zur zweitstärksten Kraft geworden ist und Haradinaj, wie wir alle wissen, dem Haager Gerichtshof nur aufgrund der Zeugensituation entkommen ist – das alles ist nicht beruhigend.
 
Wir haben im Jahre 2014 viel von Christopher Clark gehört und durch sein Buch Die Schlafwandler gelernt, wie fragil der Westbalkan ist und wie wichtig er für uns in Europa immer gewesen ist, welche explosive Kraft der Balkan gehabt hat. Es kommt jetzt etwas Neues hinzu: Russland drängt als Player auf den Westbalkan. Wir haben also eigentlich wieder die tektonischen Verhältnisse, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben: eine serbische Orthodoxie, die sich gen Russland orientiert, ein christlich-katholisches Kroatien mit der Verbindung nach Rom und eine muslimische Bevölkerung mit der Bindung an das Erbe des Osmanischen Reichs. Wer sich mit diesen Fragen, mit den langen Linien der Geschichte, nicht auseinandersetzt, wird die Schwierigkeiten, die wir derzeit auf dem Balkan haben, nicht verstehen können.
 
Vizepräsidentin Petra Pau:
 
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
 
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
 
Ich bin gleich fertig.
 
Nur noch eine Frage an Sie, Frau Dağdelen: Ist denn dann die Konsequenz, zu gehen, was dazu führen würde, dass die ganze Region wieder in Flammen aufgeht? Ich meine, dass wir gerade wegen oder trotz der Schwierigkeiten die Verpflichtung haben, zu bleiben.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
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