Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe Interessierte,
in Sao Paulo treffen sich in dieser Woche 700 Grüne aus 80 Ländern vielleicht wird es neben einer sozialistischen Internationale auch einmal eine grüne Internationale geben. Bei einer immer stärker zusammenwachsenden Welt nimmt die Zahl der national lösbaren Fragen ab insofern wird sich eine solche Aufbauarbeit eines Tages auszahlen.
Die Böllstiftung und die europäischen Grünen sind zurzeit das Rückrat dieses Treffens - es gibt kein Land, in dem die Grünen so fest verankert und so erfahren sind wie in Deutschland.
Mein Mann, Ralf Fücks, weilt also in Sao Paulo, Tochter Clara bei ihrem Freund in Plymouth und Tochter Charlotte studiert in Herzlya. Das ist die Globalisierung im Kleinen und ergibt keine gute Co2 Bilanz da hilft nur der frei-willige Ausgleich über ATMOSFAIR.
Ich möchte das Strohwitwendasein nutzen und Sie und Euch wieder an unserer Arbeit der letzten Monate teilhaben lassen. Unserer, weil ohne das wunderbare Team von nunmehr sechs jungen, engagierten und klugen Leuten meine Büros in Berlin und in Bremen nicht so umtriebig und gut vernetzt sein könnten, wie wir es sind.
Belarus und die Visumsfrage
Christoph Becker aus meinem Berliner Büro hält engsten Kontakt mit Weißrussland. Nachdem Russland gegenüber Weißrussland den Ölpreis mächtig angehoben hatte, sah es so aus, als wolle sich Präsident Lukaschenko zumindest im Sinne einer Schaukelpolitik auch dem Westen andienen. Das hätte mehr Freiheit und mehr Kontakt zum westlichen Ausland bedeutet. Doch diese Hoffnung ist geschwunden, denn zurzeit werden gerade junge Menschen, die ganz bescheidene Rechte auf Freiheit reklamieren, sehr willkürlich mit drakonischen Haftstrafen belegt. Unsere Einwirkungsmöglichkeiten sind gering. Unendlich wichtig bleibt allerdings der Kontakt, das Wissen um die Unterdrückung und die moralische und politische Unterstützung gerade dieser mutigen jungen Leute von Außen.
Die zu Recht gefeierte Erweiterung des Schengenraumes nach Osten hat allerdings dramatische Folgen für Weißrussland. Es gibt keinen unkomplizierten Grenzverkehr mehr, der für 5 Euro nach Polen oder in die baltischen Staaten möglich war. Jedes Schengenvisum kostet jetzt 60 Euro, dazu kommt in der Regel die Vorlage eines gebuchten Hotelzimmers die EU hilft dem Diktator faktisch, die Menschen einzusperren. Das gilt auch für andere Transformationsländer. Ich finde das empörend. Die wirkungsvollste und friedlichste Strategie der Unterhöhlung von autoritären Systemen ist die Impfung der nachwachsenden jungen Eliten mit dem Eindruck von Rechtsstaat und Freiheit. Das geschieht durch Anschauung sprich durch Reisen, Studienaufenthalte, Austausch etc. Doch immer noch ist die Reaktion auf die Forderung nach Visumserleichterungen fast hysterisch. Die Innen- und Sicherheitspolitiker bestimmen die Außenpolitik.
Wir bohren weiter: denn wie sollen die jungen Bosniaken und Serben, die jungen Usbeken, die Weißrussen und die Russinnen freie Länder bauen, wenn sie nicht erleben können, wie kulturelle Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie aussehen?
Der Soziale Friedensdienst in Bremen hält dank seines Jugendaustauschprogramms Bremen-Minsk schon seit 10 Jahren in vorbildlicher Weise Kontakt mit Weißrussland und immer noch kommen Tschernobylkinder.
Usbekistan
Es gab im Frühjahr wieder eine Aralseekonferenz in Taschkent. Da konnte ich erleben, wie Multilatera-lismus nicht aussehen sollte. Auf dem Podium 15 internationale Institutionen, viele UN-Unterorganisationen, die alle bedeutende Grußworte der noch bedeutenderen Präsidenten verlasen. Die angrenzenden Länder Tadschikistan, Kirgistan, Turkmenistan und Kasachstan, die alle in das Wassermanagement in der Region mit einbezogen werden müssten, waren gar nicht erst gekommen. Es gibt nur einen sarkastischen Rat: wer den Aralsee noch einmal sehen möchte, der sollte in den nächsten zwei Jahren reisen.
Meine Mitarbeiterin Melanie Schnatsmeyer hält sehr engen Kontakt zu den Menschenrechtsorganisationen: Reporter ohne Grenzen, amnesty international, human rights watch. Wieder einmal gab es das Gerücht, es stehe eine Amnestie bevor, also machte ich erneut meine Tour de Raison durch die usbekischen Stellen, die eine Freilassung der Menschenrechtsaktivisten erwirken könnten (letztlich entscheidet Präsident Karimov): Justizministerium, Generalstaatsanwaltschaft, Menschenrechtsbeauftragte des Parlaments, Außenministerium. Die Menschenrechtslage ist nach wie vor dramatisch schlecht, Folter an der Tagesordnung, die Gefängnisse in unbeschreiblichem Zustand. Aber: die Todesstrafe ist zum 1. Januar dieses Jahres abgeschafft worden, der habeas corpus, das Haftprüfungsverfahren zumindest dem Gesetz nach - eingeführt und das Internationale Rote Kreuz hat wieder Zugang zu den Gefängnissen.
In Taschkent habe ich Umida Nijasowa getroffen, eine Übersetzerin von human rights watch, die zu sieben Jahren Haft verurteilt war und auf internationalen Druck hin, noch während ich im Flugzeug auf dem Rückweg nach Bremen war, freigelassen wurde.
Und immer wieder gilt: das Wiederkommen ist das Wichtigste. Veranstaltungen an Universitäten und beim Goetheinstitut bringen hoch interessierte junge Menschen zusammen, die jede Information von außen wie einen Schwamm aufsaugen. Ich werde versuchen, im Herbst eine Tour durch die usbekischen Universitäten auch außerhalb von Taschkent zu machen. Diese jungen Menschen sind die Zukunft!
Auch im Falle Usbekistans gibt es wieder eine enge Verknüpfung mit Bremen:
Prof. Dr. Rolf Knieper von der juristischen Fakultät der Universität und die Richterin Ellen Best haben seit vielen Jahren im Rahmen der GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) am Verfassungsaufbau und in der Rechtsberatung in den Transformationsländern mitgewirkt, d.h. Südkaukasus und Zentralasien. Vor wenigen Wochen trafen sich ganz unspektakulär Juristen aus all diesen Ländern zu einem Seminar zum Vertragsrecht im Gästehaus der Universität. Und noch einen Anknüpfungspunkt gibt es: die Baumwollbörse. Wir Bremer handeln mit der in Usbekistan gepflanzten Baumwolle. Es gibt einen massiven Einsatz von Schülerinnen und Schülern bei der Ernte, also Kinderarbeit. Und so haben wir mit Bremer Initiativen (BIZ Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung, Kampagne für Saubere Kleidung) und Oppositionellen aus Usbekistan parallel zu der internationalen Baumwolltagung eine Veranstaltung zu Kinderarbeit gemacht.
Serbien/Bosnien/Kosovo
Der Balkan bleibt eine schwierige Region. In Serbien gibt es eine tiefe Verweigerungshaltung, sich mit den Ursachen des Zerfalls von Jugoslawien auseinanderzusetzen. Wir wissen aus der eigenen Geschichte, wie schwer das ist und wie lange es dauern kann, bis dieser Prozess beginnt. Die Nationalisten haben die Hegemonie. Nicht nur in Serbien, sondern auch in der sogenannten Republik Srpska in Bosnien und unter den Kroaten der Westherzegowina. Das Abkommen von Dayton hat aus Bosnien ein kaum regierbares Lande gemacht, sowohl die zentrifugalen Kräfte der serbischen wie der kroatischen Bevölkerung sind enorm; beide haben ja auch eine Titularnation im Rücken.
Wie in jedem Frühjahr besuchte ich die Mütter von Srebrenica. Wieder werden am Jahrestag des großen Mordens am 10./11. Juli etwa 400 identifizierte Tote beerdigt werden. Und immer noch sind nicht alle Massengräber gefunden. Und noch immer müssen die Frauen Tätern von Podgorica begegnen, die vollkommen unbehelligt ihren Geschäften nachgehen. Denn Srebrenica liegt in dieser sogenannten Republik Srpska und da gibt es keine Verfolgung der Täter.
Sie sind hartnäckig, diese Frauen, und ihre Geduld lässt nach. Das Leben mit dem Albtraum der Erinnerung ist schwer genug. Dass es keine Gerechtigkeit gibt, ist unerträglich. Bei den Kommunalwahlen im kommenden Herbst wird sich dann auch die Folge der Vertreibung der Muslime abbilden: es wird vermutlich einen serbischen Bürgermeister in Srebrenica geben. Das wäre nicht schlimm, wenn er für Recht und Gerechtigkeit eintreten würde. Zu befürchten steht allerdings, dass er den serbischen Nationalisten, wenn zumindest nicht angehört, dann immerhin Schutz geben wird.
Auch in Serbien und Bosnien wird es als dramatisch empfunden, dass die Reisefreiheit, die die Jugoslawen früher hatten, mit der EU nicht mehr gilt. 80% der jungen Bosnier haben noch nie ihre Entität verlassen. Wie wollen wir aus diesen jungen Menschen eines Tages EU-Bürgerinnen und -Bürger machen?
Der Goldregen, den der Regine-Hildebrandt-Preis auf das Konto von BRÜCKE DER HOFFNUNG gespült hat, soll denn auch von uns in Bremen dazu genutzt werden, um Schülerinnen und Schülern aus Lukavac eine Reise nach Deutschland zu ermöglichen. Ich hoffe auf die Bremer Pateneltern aus den Kriegsjahren und auf eine Schule, die sich das Projekt Zerfallenes Jugoslawien/Bosnien zu eigen macht. Karen Stroink und Oliver Dalichow im Wahlkreisbüro werden das Projekt in ihre Hände nehmen.
Russland
Moskau ist von Berlin nicht viel weiter entfernt als Paris. Der Kontakt ist eng. Meine Berliner Mitarbeiterinnen Mascha Sannikova und Anna Comino kennen die russische Innenpolitik gut das Böllbüro ist in der russischen Menschenrechtsszene, bei ökologischen Initiativen und Dissidenten gut angesehen.
Es ist wunderbar, wenn im Osteuropainstitut in der Bremer Universität die Menschen zum Vortrag oder zur Lehrveranstaltung anzutreffen sind, mit denen wir in Russland die Köpfe zusammenstecken: die wunderbaren, klugen und mutigen Menschen von MEMORIAL, die auch gegen den Willen des Regimes an der Aufarbeitung der Geschichte des Stalinismus arbeiten, und andere, die trotz aller Widrigkeiten wenigstens rudimentäre Reste von Demokratie zu retten versuchen.
Über Russland ist in den Zeitungen viel zu lesen, deswegen werde ich mich in diesem Punkt kurz fassen. Die Bundesregierung hat den Wechsel von Putin zu Medwedew mit hohen Erwartungen befrachtet. Wir sind da sehr viel zurückhaltender. Vieles deutet darauf hin, dass das Tandem Medwedew/Putin an der langen Leine der großen staatsmonopolitischen Konzerne liegen wird und dass die Ausbeute der Bodenschätze des Landes ohne Rücksicht auf Verluste und skrupellos vorangetrieben wird. Außenpolitik wird demgemäß immer mehr zur Energieaußenpolitik.
Neben der Klimaveränderung gibt es also weitere gute Gründe, in das Zeitalter des Windes und der Sonne einzutreten. Mensch und Natur in Russland würden es uns danken.
Weitere Informationen zur Machtübergabe im Kreml auf meiner Homepage unter:
www.marieluisebeck.de/themen/russland.html.
Tschetschenien
Auch Jahre nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland genießt Mascha Sannikova großes Vertrauen in der Menschenrechtsszene in Russland. Wir bastelten an dem Plan, mit Hilfe des Menschenrechtskommissars des Europarates eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten nach Grosny zu bringen und dort ein Seminar durchzuführen. Aber die Nachrichten aus Tschetschenien sind schlecht. Der russisch-tschetschenische Präsident Kadyrow sorgt systematisch für Friedhofsruhe in Tschetschenien. Äußerlich betrachtet wird wieder aufgebaut, viele Häuser sind jedoch nur Fassaden, ohne Wasser und Licht. Und es herrscht ein System der Angst. Seit einiger Zeit müssen Kinder und Staatsbedienstete Kopftücher tragen. MEMORIAL kann kaum mehr arbeiten. Auch hier gilt: Kontakt halten, das Netzwerk via Internet pflegen, Reisende stützen und selber reisen ist derzeit das, was wir tun können.
Gegenüber der russischen Regierung spricht kein westlicher Staat mehr von Tschetschenien. Das ist ein Skandal und sollte uns umso mehr verpflichten.
Wer mehr über dieses kleine, aber tragische Land erfahren möchte: Am 2. Juni wird um 19.30 Uhr Dr. Irina Scherbakowa (MEMORIAL) aus ihrem Buch Zu wissen, dass du noch lebst vorlesen. Dieses Buch ist eine kleine, bewegende Sammlung von Texten tschetschenischer Schülerinnen und Schüler. Dazu lade ich herzlich Sie und Euch in die Bücherstube in Blumenthal ein.
Bremen
Seit Herbst hat es viele Runden gegeben, in denen wir das schwierige Thema Afghanistan diskutiert haben. In den Kreisverbänden, in Bremerhaven, mit Campusgrün und der grünen Jugend. Ich hatte Erfahrungen aus Kabul mitgebracht, alle sind wir umgetrieben von der schwierigen Entwicklung und einer gewissen Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll. Es war sehr wohltuend, dass wir uns gegenseitig zuhörten, dass es keine Besserwisserei und keine Rechthaberei gab.
Für mich bleibt nach wie vor die Vorstellung ein Albtraum, dass den Taliban die Rückkehr in das Land gelingen könnte und die fast mittelalterliche Herrschaft über die Menschen wieder aufleben könnte. Herrschaft wäre das vor allem über die Frauen, die in unvorstellbarer Weise Willkür und Gewalt ausgesetzt waren. (Mein Buchtipp: Tausend strahlende Sonnen von Khaled Husseini)
Natürlich leben auch in Bremen afghanische Flüchtlinge. Manche sind vor der russischen Besatzung geflohen, andere später wegen der Herrschaft der Mudschaheddin und die dritte Generation der Flücht-linge kam nach der Talibanherrschaft.
In vielen Stadtteilen Bremens so schwierig ihre Zusammensetzung auch sein mag gelingt das Zusammenführen von Menschen unterschiedlichster Herkunft sehr gut. Vorbildlich und effektiv zugleich ist dabei das Programm WIN / Wohnen in Nachbarschaft, das kleine Quartiersnetzwerke aufbaut, Foren für Bürgerverständigung bietet, gemeinsam über die Verwendung von Geldern entscheidet und den Zusammenhalt trotz größter Unterschiedlichkeit herstellt. In Huchting ist es der Kulturladen, der in großartiger Weise das Thema Flucht, Vertreibung und das neue Ankommen nicht nur bei Neueinwanderern sondern auch bei denen in Erinnerung zurückruft, die durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges nach Bremen gekommen sind. Und in Tenever kennen alle Barlo alias Joachim Barloschky, der wie ein Held des Quartiers dafür kämpft, dass nicht viele von vornherein chancenlos sind.
Ja, es gibt viele Herausforderungen in diesen Quartieren zu bewältigen, die Anforderungen an die Schulen und Lehrkräfte sind riesengroß, es gibt dreiste Machocliquen und es gibt Gewalt. Aber: es gibt auch unendlich viele, die nach einer Chance suchen, in diesem Land einen Platz zu finden. Geschäftsgrundlage ist schlicht die Fairness: wir sind fair und bieten den Gekommenen eine Chance, sie sind fair und respektieren die Regeln unseres Gemeinwesens. Und auch in diesen Quartieren gilt: das Netzwerken ist urgrün! Das Wiederkommen ist unabdingbar und ich liebe es, wenn ich Menschen wiedertreffe!
Last but not least - Beck@Home. Wir sind ehrgeizig mit der Gästezahl. Karen Stroink kann bisher etwa 1200 Besucher an der langen Tafel bei mir zu Hause belegen. Ich finde, bis zur Wahl 2009 sollten es 1500 werden! Kommt selber und bringt Interessierte mit! Nichts ist besser, als im geschützten Raum offen reden zu können.