Krisenstab und Politikerin suchen in Tunesien nach Lösung / Bremer Mutter nach Zusammenbruch in Klinik
Von Rose Gerdts-Schiffler im Weser Kurier vom 11.11.2008:
BREMEN. Das Drama um den im August in Tunesien entführten dreijährigen Faris spitzt sich zu: Während die 30-jährige Mutter Gracia Kranz inzwischen im Krankenhaus liegt, hat das Auswärtige Amt einen Krisenstab gebildet. Am Sonntag ist zudem die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne) nach Tunesien geflogen.
Wie berichtet, hatten Geschwister des leiblichen Vaters den schlafenden Jungen während eines Besuchs der Mutter im vergangenen August in der tunesischen Stadt Gafsa aus dem Bett geholt und vor Gracia Kranz versteckt. Die Bremerin hatte den Jungen auf den Wunsch ihres Ex-Freundes hin seinen Eltern in Tunesien vorstellen wollen. Da sich der ehemalige Student Fayek K. bis zu dem Zeitpunkt immer korrekt verhalten hatte, kamdie Entführung ihres kleinen Sohnes, für den sie das alleinige Sorgerecht besitzt, einem Schock gleich.
Aber die Bremerin gab nicht auf. Gracia Kranz beauftragte einen tunesischen Anwalt und eine Anwältin in Bremen, bat Marieluise Beck um Hilfe und schaltete die Medien ein. Dann reiste sie auf eigene Faust erneut nach Tunesien. Dort soll nun ein Familiengericht über das weitere Schicksal des Jungen entscheiden. Denn, so der tunesische Anwalt: Kindesentziehung ist auch in Tunesien strafbar. Nach dem bisherigen Vorgehen des Vaters spreche zudem viel dafür, dass selbst in Tunesien die deutsche Mutter das Sorgerecht zugesprochen bekomme, betonte der Anwalt. Hinzu komme, dass der Vater flüchtig sei. Das Auswärtige Amt dagegen setzte vor allem auf Vermittlungslösungen innerhalb der Familie.
Zusammen mit ihrem tunesischen Anwalt fuhr Gracia Kranz in der vorigen Woche erneut nach Gafsa, wo die Familie ihres Mannes lebt und sie ihren Sohn vermutete.
Dort hoffte sie am Dienstag vergeblich auf die Herausgabe des Kindes. Einige Familienmitglieder arbeiten bei der örtlichen Polizei, sagt die Bremerin und vermutet, dass die Angehörigen rechtzeitig gewarnt wurden. Zur selben Zeit hat Marieluise Beck zahllose Telefonate und Gespräche geführt, um den Druck auf die Familie von Fayek K. zu erhöhen, erzählt Gracia Kranz. Im Gegensatz zu den ersten Wochen fühlte sie sich nicht mehr komplett allein gelassen. In der vergangenen Woche haben nun das Auswärtige Amt und der tunesische Botschafter ein Verhandlungsangebot an den Vater ausgearbeitet. Ihm sollten Straffreiheit, ein Umgangsrecht mit seinem Sohn in Bremen und die Fortsetzung seines Studiums gewährt werden, wenn er den kleinen Faris seiner Mutter übergeben würde. Doch Fayek K. lehnte ab und stellte stattdessen unerfüllbare Forderungen.
Seit Freitag arbeitet ein kleiner Krisenstab des Auswärtigen Amtes an dem Fall. Am vergangenen Sonntag flog schließlich auch die Bundestagsabgeordnete persönlich nach Tunis.
In einer Krisensitzung in der Botschaft einigte man sich darauf, dass als allererstes der genaue Aufenthaltsort des Kindes ermittelt werden muss. Erst dann könne das tunesische Familiengericht zum Zuge kommen.
Während Gracia Kranz nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus liegt, suchen deutsche Politiker und tunesische Justiz vor Ort fieberhaft nach einer Lösung. Für Marieluise Beck steht schon jetzt fest, dass künftig in ähnlich gelagerten Fällen immer ein Krisenstab ins Leben gerufen werden müsste. Alleinstehende Mütter oder Väter haben ansonsten kaum eine Chance, ihr Kind jemals wiederzusehen. Am morgigen Mittwoch soll das Thema Kindesentziehungen im Auswärtigen Ausschuss in Berlin beraten werden.
© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 11.11.2008