Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Aus der aktuellen Zeitschrift Profil: grün - Born to be green

Von Nina Anika Klotz - Auf wen passt das Motto „Born to be green“ besser als auf Marieluise Beck? Grüne der ersten Stunde, drei Jahrzehnte im Bundestag – immer dabei, immer mittendrin. Bevor sie davon erzählt, zitiert sie Brecht, die Geschichte von Herrn Keuner: Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Oh!“, sagte Herr K. und erbleichte.

„Zu bleiben, wie man gewesen ist, ist nicht unbedingt eine Tugend“, sagt Beck, „ja, wir haben uns verändert, aber unser Umfeld hat sich auch verändert.“ Die Zeiten, in denen „ökologisch denken“ bedeutete, als Abgeordnete  selbstgestrickte Wollpullover zu tragen, sind vorbei. Mit Visionen von Frieden und Umweltschutz allein lässt sich heute keine Politik mehr machen. Und auch nicht, indem man immer dagegen ist. „Deshalb ist es richtig, dass in der Partei der Kompromiss nicht mehr denunziert, sondern als selbstverständlicher Teil demokratischer Aushandlungsverfahren gesehen wird“, meint Beck, „man kann nicht gegen die Gesellschaft regieren.“

Marieluise Beck ist jetzt 60 und ihr halbes Leben lang Abgeordnete. Bonn und Berlin – das ist ihre Arbeit, zuhause aber ist sie in Bremen. Das  Lehramtsstudium, Deutsch und Geschichte, liegt lange zurück. Doch aus ihren komplizierten, langen Sätzen meint man die Germanistin zu hören. Sie scheint jedes Wort auf eine innere Goldwaage zu legen. Dazwischen Sätze wie Ausrufezeichen: „Wir sind bürgerlicher geworden“, ist so einer. Ihr selbst steht diese Bürgerlichkeit. Silberner Kurzhaarschnitt zum schwarzen Gehrock und knallroter Lippenstift, das wäre auch im Vorstand eines DAX-Unternehmens ein souveräner Auftritt.

Die Frisur trug sie allerdings immer schon. Auch damals, 1983, als sie hinter einer gigantischen Weltkugel und in Begleitung von Indianern und Pershing-Gegnern in den Bundestag einzog. „Das war atemberaubend und euphorisch“, sagt sie. Von da an saß Beck als erste Sprecherin der Fraktion neben Petra Kelly im Bonner Plenum auf einem dieser Holzklappstühle. Schrecklich ungemütlich, nicht? „Ja, aber um Gemütlichkeit ging es uns auch nicht“, kontert Beck scharf.

Auch heute stellt die Sprecherin für Osteuropapolitik unbequeme Fragen. Die Missachtung der Menschenrechte in Russland oder die zerbrechliche Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine treiben sie um. Aber etwas ist doch anders als früher: „Mittlerweile glaube ich, es hat eine gewisse Berechtigung, wenn in Demokratien nicht von Jetzt auf Nachher aus den Angeln gehoben werden kann, was gesellschaftlich durch Mehrheitsentscheide gewachsen ist. Das ist mir im Laufe der Jahre sehr viel bewusster geworden.“ Hier ringt sie das einzige Mal nach Worten: „Neu an mir ist die Bereitschaft, mal die Perspektive der anderen Seite einzunehmen und von dieser Perspektive aus in Erwägung zu ziehen, dass wir auch Fehler machen.“ Klingt nach mehr Geduld, Nachsicht, Selbstreflexion. „Begleiterscheinungen des Älterwerdens“, sagt sie und grinst.

Mit den Veränderungen in der Partei wie bei ihr selbst ist Marieluise Beck offenbar im Reinen. Nur eines macht ihr Sorgen: wie sich der Beruf des Politikers verändert hat. Das Tempo, sagt sie, habe sich rasend erhöht. „Ich erinnere mich noch an die braunen DIN-A4-Umschläge, die früher zwei Tage via Postweg aus dem Abgeordnetenbüro in Bonn an den Heimatort geschickt wurden.“ Heute undenkbar, jeder Abgeordnete ist ständig erreichbar. „Der Ausstoß an Verlautbarungen, Einlassungen, Räuspern und Zwischenrufen hat sich vervielfacht, so wie auch der Druck, sich wahrnehmbar zu machen und präsent zu sein.“

Und was wünscht sie sich für die nächsten 30 Jahre? „Dass bei aller Zunahme von Kompetenz, wozu auch Kleinteiligkeit und Fachlichkeit gehört, die Grünen sich trotzdem weiter den Blick für das große Ganze bewahren.“

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