Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zur Östlichen Partnerschaft

Am 28. Juni 2017 deabttierte der Deutsche Bundestag einen Antrag der Koalition von Union und SPD zur Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union. In ihrer Rede begründet Marieluise Beck, warum die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Koalitionsantrag nicht zugestimmt hat.

Sehen Sie hier das Video der Rede:

Lesen Sie hier den Redetext nach:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kleine Vorbemerkung, die man bei uns im Westen immer wieder betonen muss, auch bei unseren Leuten, wenn wir über Europa sprechen: Die Europäische Union wird häufig gleichgesetzt mit Europa, aber Europa ist größer.
 
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Richtig! Da stimme ich zu!)
 
Ich möchte einmal an den Artikel 49 des EU-Vertrages erinnern, der sagt:
 
Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.
 
Das ist der Grundsatz der Europäischen Union. Es ist nicht davon die Rede, dass wir Pläne und Programme machen, um Länder, europäische Länder draußen zu halten.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
 
1945 wurde Europa auf der Krim geteilt. Ich empfinde es als schmerzlich, dass die große historische Chance nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und die Überwindung dieser langandauernden Teilung vielleicht nicht ausreichend genutzt worden ist. Die Charta von Paris – sie wurde eben schon erwähnt – hatte die historische Vision eines wieder vollständigen europäischen Kontinents aufgenommen. Ihr Kern muss uns heute wie 1990 leiten, nämlich die Selbstverpflichtung der Staaten auf Freiheit und Demokratie und das souveräne Recht, Herr Hunko, über die eigene Zukunft zu entscheiden. Das heißt natürlich auch Bündnisfreiheit. Doch das Denken in Einflusssphären kehrte in die europäische Politik zurück, übrigens nicht nur mit der Annexion der Krim und dem Krieg gegen die Ukraine. Auch im Westen schleicht sich dieses Denken in unzulässiger Weise wieder ein. Stimmen im Westen formulieren das so: Hätte man einen Assoziationsvertrag nicht vorher mit Moskau glattziehen müssen? Müssen wir nicht deutlich eine EU-Perspektive für die Länder im Osten ausschließen, um den Kreml nicht zu reizen? Muss nicht dringend Georgien und der Ukraine die Neutralität verordnet werden, um Russlands imperialen Amputationsschmerz zu lindern? Auch der Begriff von der Brückenfunktion ist ziemlich heikel, weil auch er eine Zuweisung vornimmt, die uns hier nicht zusteht.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)
 
Der Historiker Timothy Snyder hat hier in Berlin in der vergangenen Woche eindrucksvoll auf die dunklen Seiten der deutsch-russischen Geschichte hingewiesen. Deutschland und Russland waren lange Zeit Hegemonialmächte in Europa, die ihre kolonialen Interessen innerhalb Europas verfolgt haben. Die Länder zwischen diesen beiden Imperien wurden dabei zum Opfer dieser imperialen Politik. Was bedeutet das, wenn wir in Deutschland über die Östliche Partnerschaft sprechen?
 
Erstens. Eine Achse Berlin-Moskau, mag sie noch so wohlmeinend sein, ist historisch unstatthaft und führt zu berechtigtem Unbehagen der Länder zwischen uns. Sie verletzt zudem die von uns reklamierten Werte der OSZE wie Selbstbestimmung, Souveränität und freie Bündniswahl.
 
Zweitens. Eine direkte Versorgungslinie zwischen Russland und Deutschland wie Nord Stream 2, die im Krisenfall die Zwischenländer umgehen könnte, ist mehr als ein harmloses wirtschaftliches Projekt. Es zeugt von unzureichender Auseinandersetzung mit der Geschichte,
 
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
 
den beunruhigten Blick der östlichen Nachbarn als Hysterie abzutun.
 
Drittens. Der Dialog mit Russland muss immer mit Blick auf diese sogenannten Zwischenländer geführt werden, die sich erst spät aus der Neokolonialumklammerung der Sowjetunion befreien konnten. Diese Länder bezahlten mit ihrer Freiheit für den Zweiten Weltkrieg, der von Deutschland zu verantworten ist.
 
In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht viel Gutes, aber die notwendige Klarheit, dass eine deutsche Ostpolitik sich fest auf dem Boden dieses historischen Wissens bewegen muss, wird durch allzu viele Worte verschleiert. Könnte es sein, dass sich hinter den wortreichen, langatmigen und oft technokratisch formulierten Selbstverständlichkeiten eine politische Differenz in der Koalition verbirgt?
 
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Nein!)
 
Mit dem Brexit bekommt Deutschland eine noch stärkere Rolle innerhalb der Europäischen Union. Wir sollten mit dieser Rolle sehr bewusst und sehr vorsichtig umgehen, immer mit Blick auf die historische Verantwortung für ebendiese Zwischenländer, die ein hohes Maß an Vorsicht, Umsicht und Besonnenheit verdient haben.
 
Europa bedeutet auch Russland, und ich würde mir wünschen, dass wir den Tag erleben, an dem Europa so weit zusammengewachsen ist, dass auch Russland dazugehört – aber ohne jegliche imperiale Ansprüche. Denn die Europäische Union bedeutet Gleichheit aller, egal wie klein oder wie groß – das ist der Gedanke der Europäischen Union.
 
Schönen Dank.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
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