Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

EU-Russland: Direkter Dialog ist möglich

Die EU kann sich mehr Selbstbewusstsein genehmigen - meint Marieluise Beck in einem Interview für die Mai-Ausgabe der Moskauer Deutsche Zeitung.

Auf dem EU-Russland-Gipfel beschwor Europa Mitte Mai seine innere Solidarität und kritisierte Bürgerrechtsverletzungen in Russland ganz offen. Bedeutet dies einen politischen Kurswechsel oder wird es ein Einzelereignis bleiben? MDZ-Redakteur Christian Weisflog sprach darüber mit Marieluise Beck, Abgeordnete für die Grünen im Bundestag.

Viele Medien bezeichneten den EU-Russland-Gipfel Mitte Mai in Samara als Misserfolg, weil er keine konkreten Resultate brachte. Teilen Sie diese Meinung?

Natürlich ist es immer besser, wenn von Gipfeln handfeste Ergebnisse mitgebracht werden. Positiv war, dass es einen sehr freimütigen Austausch gegeben hat, insbesondere zwischen der Kanzlerin und Herrn Putin. Und wenn ich es richtig gelesen habe, hat der russische Außenminister Sergej Lawrow trotzdem kommentiert, es sei durchaus ein angenehmer Gipfel gewesen. Vielleicht hat dieser Gipfel gezeigt, dass ein etwas direkterer und durchaus auch konfliktgetragener Austausch nicht gleich das Ende der Beziehungen zwischen der EU und Russland bedeuten muss.

Bisher gelang es Putin, die EU zu spalten. In Samara betonten Merkel und Barroso die Solidarität der EU mit den baltischen Ländern und Polen, die alle ihre eigenen Probleme mit Russland haben. Menschenrechtsverletzungen wurden zudem scharf kritisiert. Ist das ein Zeichen für eine grundsätzlich neue Russlandpolitik in Europa?

In Deutschland, wenn ich jetzt für unser Parlament spreche, ist dieser Punkt – Europa muss mit einer Stimme sprechen – inzwischen gut verankert. Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch wenn die EU-Ratspräsidentschaft und der G8-Vorsitz nicht mehr bei Deutschland liegen, diesen Weg, den die Kanzlerin eingeschlagen hat, weiterzuverfolgen.

Ist nicht zu befürchten, dass sich Russland mehr und mehr Richtung China wendet, wenn Europa zu unbequeme Forderungen stellt?

Es gibt erstens keine einseitige Abhängigkeit Europas vom Energielieferanten Russland. Wir brauchen in der Tat warme Füße, aber Russland braucht auch Devisen. Das ist eine Basis, auf der sich die EU mehr Selbstbewusstsein genehmigen kann. In diesem Zusammenhang schwächen wir uns zweitens alle selber, wenn wir nicht mit einer Stimme gegenüber Russland sprechen. Laut Energiefachleuten würde eine solche Orientierung Richtung China zudem so langwierige logistische Vorbereitungen erfordern, dass dies innerhalb der kommenden Jahre kein Thema sein kann. Bei einem solch schwer­fälligen und großen Ressourcensystem, das Pipelines, Bohrungen und eben auch westliche Technologie braucht, legt man nicht einfach den Hebel um.

Aber setzen sich solche Überlegungen auch in ganz Europa durch?

Das kann ich nicht vorhersehen. Natürlich werden sich internationale Firmen, die potenziell betroffen sind von den Entwicklungen in der russischen Energieförderung, natürlich auch an ihre nationalen Regierungen wenden. Nach meinen Erfahrungen nimmt die Unruhe in den großen Konzernen zu.

Sie sind also einverstanden mit der rot-schwarzen Russlandpolitik?

Ich finde gut, dass unter dieser deutschen Ratspräsidentschaft, obwohl es Warschau uns ja nicht gerade leicht macht, dem Baltikum und Polen signa­li­siert wurde, dass wir ihre Geschichte kennen und uns deshalb nicht einfach über diese Länder hinwegsetzen. In Bezug auf bilaterale ökonomische Abkommen, die ich zum Teil für problematisch halte, ist die alte Politik fortgesetzt worden. Dies betrifft insbesondere die Ostseepipeline. Abgesehen von den ökologischen Fragen, die noch offen sind, habe ich ein Problem damit, wie dieses Pipeline-Projekt zustande gekommen ist. Wir dürfen keine bilateralen Aktionen starten, die Spaltungsmöglichkeiten in sich bergen. Da hat auch die jetzige Bundesregierung noch was zu tun.

Wie sind denn die Positionen im Auswärtigen Ausschuss?

Es gibt in allen Fraktionen unterschiedliche Akzentsetzungen. Man kann nicht von „der SPD“ oder „der CDU“ sprechen. Das Gefühl nimmt zu, dass 2007 für Vereinbarungen und Abkommen vielleicht überhaupt ein schlechtes Jahr ist, weil es durch den Präsidentenwechsel und die dahinter stehende Intransparenz überlagert wird. Und dann gibt es die Sorge, wie es 2008 weiter geht. Aber dass die Kanzlerin auf die ihr eigene Art in Samara nicht zurückgewichen ist, das wurde doch allgemein respek­tiert. Immer wieder wird uns von russischer Seite der Begriff der „double standards“ vorgehalten. Damit hat der Westen durch­aus ein Problem, zum Beispiel wenn wir die Abschaffung der Todesstrafe fordern, jedoch ein Land wie die USA, das Mitglied der OSZE ist, die Todesstrafe anwendet. Solche Fakten schwächen die Position der Menschenrechtler gegenüber Russland. Natürlich ist es unglaublich, wie Garri Kasparow daran gehindert wurde, nach Samara zu fliegen, aber auch bei uns gibt es vor dem G8-Gipfel eine präventive Sicherheitspolitik, die sich gefährlich an der Grenzlinie zwischen Bürgerrechten und Sicherheitsbestreben bewegt. Da hat man nichts Schönes im Kreuz, wenn man Kollegen von der Duma gegenüber sitzt.

Also muss sich Europa in Sachen Demokratie auch an der eigenen Nase packen?

Ja, wir müssen uns im Klaren sein, dass jede Beschneidung der Bürgerrechte zugunsten von Sicherheit eine Auseinandersetzung mit einem Staat wie Russland nicht leichter macht.

Das Problem mit Russland besteht jedoch auch darin, dass freie Wahlen nicht immer das aus westlicher Sicht gewünschte Resultat bringen. Zurzeit würde sich wohl eher ein populistischer Nationalist durchsetzen als ein liberaler Demokrat. Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit dieser Problematik umgehen?

Ich kann nur sagen: Geduld. Dass sich ein Land nach langen Jahren des finsteren Zarismus und Stalinismus nicht schnurgerade in eine Demokratie wandelt, das darf einen nicht erstaunen. Es ist meine feste Überzeugung – auch wenn außer ein paar ganz aufrechten Zirkeln im Moment kaum jemand Interesse daran hat –, dass ein Land wie Russland ohne eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sehr schwer Zugang finden wird zu einer wirklich verankerten Demokratie. Nationalismus, mögliche ethnische Spannungen, die Frage von Bürgerrechten versus Stabilität, das alles erfordert eine solche Auseinandersetzung.

Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz: Denn ohne Demokratie ist eine Aufarbeitung der Geschichte schwer möglich.

Ja, wobei: Ich bin eine glühende Verfechterin von Jugend- und Studentenaustausch. 1967 als 15-Jährige war ich für ein Austauschjahr in den USA. Das war ein überaus kluges Programm in Richtung Demokratieerziehung. Für Russland, Belarus und alle diese Länder gilt für mich heute: Fördert die junge Generation, die neue Elite. Öffnet, öffnet, öffnet! In Zeiten des Internets und anderer schneller Kommunikationsmittel, die von diesen Regimen bei allen Anstrengungen nie ganz unterbunden werden können, darf man auch ein bisschen zuversichtlich sein.

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