Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

BDK-Antrag gegen deutsche Förderung russischer Atomwirtschaft

Auf Initiative von Marieluise Beck wurde zum grünen Parteitag vom 8. bis 10. Mai 2009 ein Antrag gegen die deutsche Unterstützung der russischen Atomwirtschaft, wie sie sich auf Grundlage der angekündigten Zusammenarbeit von Siemens mit Rosatom abzeichnet, beschlossen. Der von den Delegierten angenommene Antrag fordert eine stärkere Unterstützung der neu gegründeten deutsch-russischen Energieagentur und ein Bekenntnis der EU zu regenerativen Energien in der Zusammenarbeit mit Russland und den Ländern der Östlichen Partnerschaft. Eine Absage erteilten die Grünen dem Bau neuer russischer Atomkraftwerke mit deutscher Hilfe. Derzeit treibt Belarus konkrete Pläne für einen AKW-Bau durch russische Konsortien, direkt an der Grenze zu den EU-Ländern Litauen und Polen, voran.

Beschluss 30. Ordentliche Delegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen, Berlin 8. bis 10. Mai 2009:

Keine Förderung der russischen Atomwirtschaft und kein Bau von Atomkraftwerken in Russland mit deutscher Hilfe!

Der Großkonzern Siemens beabsichtigt eine dauerhafte Zusammenarbeit mit dem staatlichen russischen Nuklearunternehmen Rosatom. Ziele sind die Entwicklung und der Bau neuer und die Modernisierung bereits bestehender Atomkraftwerke.

Russland ist mit gegenwärtig 31 Reaktoren in zehn Atomkraftwerken einer der größten Produzenten von Atomstrom, zugleich einer der wichtigsten Exporteure von Atomkraftwerken. Bis 2015 will die russische Regierung nach eigener Aussage mindestens zehn neue Atomkraftwerke ans Netz gehen lassen und jährlich mindestens zwei weitere exportieren. Inzwischen konkret geplant ist ein Atomkraftwerk in Ostrowez in der belarussischen Region Grodno, also in dem Land, auf das nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 70 Prozent des gesamten Fallouts niederging. Gebaut werden soll das neue Atomkraftwerk von einem russischen Konsortium. Es ist damit zu rechnen, dass daran auch Siemens über die beabsichtigte Kooperation mit Rosatom beteiligt sein wird. Ein konkreter Standort ist bereits benannt, erste Vorarbeiten werden durchgeführt.

Viele der gegenwärtig acht Baustellen für Atomkraftwerke in Russland liegen zum Teil seit Jahrzehnten brach. Aber auch wenn das verkündete Atomprogramm Russlands nur zum Teil realistisch sein mag, bleibt doch die erklärte Absicht einer deutlichen Erweiterung der Zahl der Atomkraftwerke. Dies ist besonders problematisch in einem Land, dass nach Meinung vieler ExpertInnen technologisch nicht auf dem neuesten Stand ist. Die Sicherheitsstandards auch in russischen Atomkraftwerken wie in Zwischenlagern für nuklearen Abfall sind ungenügend und werden zudem unzureichend eingehalten und kontrolliert. Das Endlagerproblem ist natürlich auch in Russland nicht gelöst. Geplant ist ein geologisches Endlager, ein Standort steht nicht fest. Nicht erst seit der Katastrophe von Tschernobyl ist bekannt, welches Risiko von Atomkraftwerken ausgehen kann und welche Gefahren für Mensch und Umwelt auch in weit entfernten Regionen sie mit sich bringen. Der Betrieb von Atomkraftwerken in Nachbarländern und erst recht der Bau weiterer Anlagen sind daher aus Sicherheitsgründen höchst kritisch zu bewerten.

Die in Russland aktive NGO Bellona schätzt die Lage als besorgniserregend ein: “Die Hälfte der Reaktoren werden von Experten als mit hohem Sicherheitsrisiko verbunden eingestuft, elf von ihnen sind noch vom Tschernobyl-Typ RBMK.” Und im April 2009 erst erklärte Greenpeace Russland zum Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl : "Millionen Bürger unseres Landes sind Opfer von Strahlenunfällen. Circa 3% des Territoriums unseres Landes sind mit radioaktiver Strahlung verseucht. Auf einer Fläche von 480.000 Quadratkilometern (das entspricht der Größe Frankreichs) liegt die radioaktive Strahlung über der Norm”.

Die Geringschätzung von Menschenleben ist leidvolle Erfahrung all jener in Russland, die im Umfeld von Nukleareinrichtungen leben. Dabei sind modernere oder modernisierte Anlagen zwar weniger riskant als alte, aber natürlich keine Garantie gegen Unfälle, Verstrahlung oder unsachgemäße Lagerung.

Der Umgang mit Nukleartechnik in Russland ist vielfach eine Bedrohung für die betroffenen Menschen. Verletzt werden aber auch die Menschenrechte jener, die als JournalistInnen kritisch darüber berichten. In unguter Erinnerung ist der Fall Grigorij Pasko, der wegen der Publikation öffentlich zugänglicher Informationen über die Verklappung von Atommüll zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Internationale Proteste erzwangen 2003 seine vorzeitige Entlassung.

Infolge der enormen Investitionskosten sowohl für den Bau als auch für die Modernisierung von Atomkraftwerken ist damit zu rechnen, dass Siemens bzw. das geplante Gemeinschaftsunternehmen mit Rosatom Anträge auf finanzielle Absicherung durch die Bundesregierung stellen wird. Über geplante oder bereits vorliegende Anträge auf Erteilung von Hermes-Bürgschaften oder Kreditsubventionen werden seitens der Bundesregierung jedoch keine Auskünfte erteilt.

Geradezu verschwindend gering angesichts der für den Einsatz in der Atomwirtschaft erforderlichen Mittel nimmt sich die Summe von sechs Millionen Euro aus, mit denen die für den Sommer 2009 angekündigte russisch-deutsche Energiespar-Agentur mit Sitz in Moskau vom deutschen Staat unterstützt werden soll. Mit Hilfe der deutschen Energie-Agentur sollen Energieeffizienz, Energiespartechnologien und die Senkung von Transportverlusten von Energie gefördert und realisiert werden. Diese Form der Zusammenarbeit ist positiv und sollte zum Modell für ein weit stärkeres, auch finanzielles Engagement werden.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnen den Bau neuer Atomkraftwerke nicht nur in Deutschland und nicht nur in der Europäischen Union ab. Auch in anderen Ländern, besonders solchen mit staatlich behinderten unabhängigen Informationsmöglichkeiten sind Atomkraftwerke gefährlich. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung:

  • Keine Hermesbürgschaften für den Bau von Atomkraftwerken zu erteilen;
  • Sich bei der belarussischen und der russischen Regierung für den Stopp der Baupläne für neue Atomkraftwerke einzusetzen;
  • Angesichts der möglichen Gefährdung auch Deutschlands und anderer EU-Mitgliedstaaten gegebenenfalls Sicherheitswarnungen auszusprechen.
  • Die rechtlichen Konsequenzen für die am Bau dieser Atomkraftwerke beteiligten Firmen zu benennen;
  • In den Verhandlungen mit Russland über ein neues PKA und mit Belarus und den anderen Ländern der “Östlichen Partnerschaft” Unterstützung für den Bau neuer Atomkraftwerke auszuschließen und stattdessen die Förderung erneuerbarer Energien und ihrer Anwendung als Ziel der Kooperation zu vereinbaren;
  • die geplante deutsch-russische Energie-Agentur mit erheblich mehr Mitteln auszustatten, solange die Ergebnisse ihrer Arbeit sich kommerziell nicht selbst tragen.

Hier gibt es den Antrag als Downlaod als PDF .

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