Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Europarat: Debatte zu politisch motiviertem Missbrauch des Strafrechtssystems

Während ihrer 4. Teilsitzung 2009 diskutierten die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über den Bericht von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu Vorwürfen von politisch motiviertem Missbrauch des Strafrechtssystems in Mitgliedsstaaten des Europarats. An der Debatte am 30. September 2009 beteiligte sich auch Marieluise Beck.

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Danke, Herr Präsident!

Auch ich möchte mich bei der verehrten Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger für diese sehr fundierte Arbeit bedanken. Ich fand es sehr klug, dass darin der Blick auf mehrere Länder und vor allem westliche demokratische Staaten gerichtet wird, damit wir uns nicht den Vorwurf einhandeln, wir wollten auf einem Auge blind sein.

Für uns gilt, dass Demokratie unterschiedliche Gesichter haben kann. Dennoch ist eins vollkommen klar: Das absolute Fundament von jeglicher Demokratie ist Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz. Das ist der zentrale Punkt, nach dem wir diesen Bericht bewerten müssen.

Es gibt Vorschläge und Probleme sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich und Deutschland, doch in Russland gibt es Probleme, die von anderer Natur und Qualität sind, nämlich das Problem der politischen Einflussnahme auf Prozesse, auf Gerichtsorte, auf Staatsanwälte und auf Richter. Dazu kommt, dass die so genannte „Vierte Gewalt“, die Korruption oder Ähnliches aufdecken kann, nämlich die Medien, in Russland als Korrektiv weitgehend fehlt.

Beispielhaft ist der Fall Chodorkowski. Michail Chodorkowski ist zum Symbol für den Umgang des russischen Staates mit seinen unabhängigen Kritikern geworden. Ich weiß, dass manche einwenden werden, dass die Oligarchen in den turbulenten Zeiten der neunziger Jahre alle durchaus auch halbsaubere Aktivitäten betrieben haben.

Aber uns muss klar sein, dass derzeit nur Herr Chodorkowski belangt wird, und zwar gerade er, weil er angefangen hat, das Unternehmen nach transparenten, westlichen Standards zu transformieren, Oppositionskräfte zu finanzieren und die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Außerdem hat er den autoritären Führungsstil von Putin kritisiert.

Selbst in Russland gibt es kaum jemanden, der nicht den politischen Charakter dieses Verfahrens sieht, insbesondere im zweiten Prozess, der schon in der Anklage so eindeutig widersprüchlich ist, dass überhaupt nichts mehr logisch zusammen passt. Es geht auch nicht mehr um die Zerschlagung des Yukos-Konzerns, denn diese ist längst erfolgt. Die Profiteure dieser Zerschlagung, die sich im Umfeld des Kremls bewegen, könnten dieses Verfahren eigentlich für beendet erklären.

Jetzt geht es um Machtdemonstration. Chodorkowski steht für den Mitgestaltungsanspruch der Zivilgesellschaft, für demokratische Regeln und eine pluralistische Gesellschaft, in der die Machthaber Widerspruch, auch aus den Medien, aushalten müssen.

Die Demokratie in Russland hat leider weitgehend den Charakter der Simulation; wenn man sie schönredet, nennt man sie „gelenkt“. Das Entscheidende ist, dass der Westen mit Präsident Medwedjew sehr große Hoffnungen verbindet. Auf diesen Präsidenten, der mit dem Programm der Korruptionsbekämpfung und gegen „Rechtsnihilismus“ antritt – ein Vorwurf, der nicht von hier erhoben wurde, sondern den er selbst als Präsident der eigenen Gesellschaft als Spiegel vorgehalten hat -, setzen wir zu Recht Hoffnung.

Die Frage ist nur, ob auch tatsächlich eine wirkliche Veränderung zu sehen sein wird, oder ob es sogar eine Arbeitsteilung geben wird - ein Ministerpräsident Putin, der mit harter und nichtdemokratischer Regel regiert, und ein Präsident Medwedjew, der im Westen gerne gesehen und gehört wird.

Das Verfahren Chodorkowski wird ein Prüfstein für den Zustand des russischen Rechtsstaates sein. Ich fordere dieses Haus auf, sehr genau hinzuschauen, wie dieses Verfahren ausgeht. Fahren Sie als Kollegen hin und schauen Sie es sich an. Was dort abläuft, muss von Russland selbst anders zu Ende gebracht werden, als es angegangen wurde, denn Russland schadet seinem eigenen Ruf und verstellt sich den Weg der rechtsstaatlichen demokratischen Kulturen.

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Unter diesem Link finden Sie den Bericht von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger .

Auf der Internetseite der Parlamentarischen Versammlung des Europarats  finden sie sämtliche Unterlagen zur 4. Teilsitzung 2009.

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