Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Erklärung und Antrag zur Abstimmung über EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien

Am 27. Juni 2013 diskutierte der Bundestag Anträge der Koalition, der SPD und grünen Bundestagsfraktion zur anstehenden Entscheidung des am selben Tag beginnenden Europäischen Rats zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien.

Marieluise Beck nutzte die Abstimmung, um in einer persönlichen Erklärung auf die alarmierende Situation der Roma in Südosteuropa und darüber hinaus aufmerksam zu machen. Die Instrumentalisierung der dramatischen Lage der Roma für Versuche zur Diffamierung des KFOR-Einsatzes im Kosovo weist sie hierbei entschieden zurück.

Lesen Sie hier die Anträge der Koalition , SPD und Grünen, die zur Abstimmung standen.

Lesen Sie hier die Persönliche Erklärung gemäß § 31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags zur Einvernehmensherstellung mit der Budnesregierung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien :

Ich stimme der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu. Angesichts der von Serbien erstmals in dieser Tragweite signalisierten Bereitschaft zu einer Einigung mit dem Kosovo halte ich es für geboten, ein deutliches Signal an die serbische Bevölkerung zu senden, dass die EU an ihrem 2003 in Thessaloniki gegebenen Versprechen der EU-Perspektive festhält und das Land sich auf dem richtigen Weg befindet. Gleichwohl nehme ich zur Kenntnis, dass es berechtigte Bedenken gegenüber diesem Schritt gibt. Denn Serbien hat die im Implementierungsplan zum Abkommen mit dem Kosovo vom 19. April 2013 vorgesehenen Schritte zum Abbau der Parallelstrukturen in Nordkosovo noch nicht in dem vorgesehen Maß umgesetzt. Viele der für die Frist bis Mitte Juni vorgesehenen Schritte sind begonnen, aber noch nicht abgeschlossen. Bislang kann noch nicht von einer unumkehrbaren Entwicklung zum Abbau der Parallelstrukturen gesprochen werden. Diese ist unabdingbar für die Funktionsfähigkeit des kosovarischen Gesamtstaates und bleibt Voraussetzung für die Eröffnung erster Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen. Die Europäische Union ist aufgerufen, die weitere Implementierung des Abkommens aufmerksam zu verfolgen. Ich möchte jedoch die Gelegenheit nutzen, um auf einen Missstand hinzuweisen, der uns im Falle Serbiens, aber auch darüber hinaus europaweit Sorge bereitet: Die systematische Diskriminierung der Roma. In Serbien leben Roma vielfach unter erschreckenden Bedingungen. Für sie sind Ausgrenzung, Armut und Perspektivlosigkeit alltägliche Erfahrungen. Antidiskriminierungs- und Integrationsmaßnahmen müssen daher einen Schwerpunkt in den Beitrittsverhandlungen darstellen. Die Diskriminierung der Roma ist jedoch kein serbisches Phänomen. Im Kosovo ist die Lage dieser Menschen ebenfalls dramatisch. Insbesondere die Vertreibung der Roma im Zuge des Kosovo-Konfliktes stellt eine große Tragödie dar. Unseriös sind allerdings Versuche, die Lage der Roma zu instrumentalisieren, um den KFOR-Einsatz zu diffamieren, und dabei Zahlen anzuführen, die nicht belegbar sind. Weder ist die Zahl der vor dem Krieg tatsächlich im Kosovo lebenden Roma bekannt, noch ist die Größenordnung der Vertreibungen zweifelsfrei ermittelbar. Richtig ist, dass KFOR zu Beginn des Einsatzes nicht in der Lage war, die Roma ausreichend vor Übergriffen zu schützen. Wahr ist aber auch, dass die KFOR-Truppen sich um einen besseren Schutz der Roma bemühten, sobald sie über deren alarmierende Lage informiert wurden. So hält es ein gemeinsamer Bericht des Europarats und der OSZE von 1999 fest. An Gewalt und Diskriminierung gegenüber den Roma damals wie heute ändert dies nichts. Nicht nur in der Westbalkanregion, sondern auch in der gesamten Europäischen Union werden sie systematisch ausgegrenzt. Rassistische Übergriffe sind an der Tagesordnung. Armut, Arbeitslosigkeit und mangelnder Zugang zu Bildung bestimmen den Alltag der Menschen. Doch statt daran mitzuwirken, dass Hunderttausende im Europa des 21. Jahrhunderts unter menschenwürdigen Bedingungen leben können, unterstellt Innenminister Friedrich den Roma pauschal Asylmissbrauch und droht damit, die Reisefreiheit der Menschen in Südosteuropa einzuschränken. Das ist nicht nur verantwortungslos, sondern schürt darüber hinaus den Rassismus gegenüber den Roma. Deshalb fordern wir nicht nur ein Ende der Abschiebungen von Roma in die Westbalkanregion, sondern auch ein endlich ernstzunehmendes Engagement Deutschlands für die europaweite Integration der Roma.

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