Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Zum Prozessbeginn gegen Radovan Karadzic

Nach fünfzehnmonatiger Vorbereitungszeit wird am Montag wegen 11 Anklagepunkten u.a. Völkermord, Verschwörung zu Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gegen Karadzic eröffnet.

Ziel des Verfahrens ist laut Chefankläger Brammertz, die Verantwortung Karadzics für die Planung der Beseitigung nicht serbischer Bevölkerung („ethnische Säuberungen“) in Teilen von Bosnien und Herzegowina nachzuweisen. Brammertz geht von einem schwierigen Prozess aus, der über ein Jahr in Anspruch nehmen wird. Mit einer Berufung könnte das Verfahren dann bis 2013 laufen. Brammertz hat eine Liste mit 409 Zeugen vorgelegt, von denen 230 ihre Aussagen aus Zeitgründen schriftlich vorlegen sollen.

Noch am 18.10.2009 forderte Karadzic den UN-Sicherheitsrat auf, mit einer Resolution Straffreiheit für seine Person zuzusichern. Er bezog sich hierbei auf eine Zusage des ehemaligen US-Gesandten Holbrooke, der ihm ausgestattet mit einer UN-Vollmacht 1996 Immunität für den Fall seines Rückzugs aus der Politik zugesichert habe. Holbrooke bestreitet, diese Zusage gemacht zu haben. Das Tribunal in Den Haag stufte den Vorgang als irrelevant, weil für die Verbindlichkeit einer solche Zusage eine Sicherheitsratsresolution notwendig gewesen wäre. Diese forderte nun Karadzic von der UN nachträglich ein.

Karadzic plant, sich im Prozess selbst zu verteidigen, wird im Hintergrund aber von einem professionellen Team um den Anwalt Peter Robinson beraten. Karadzic wird vermutlich auf diese Weise versuchen, wie Milosevic den Prozess in die Länge zu ziehen und für endlose politische Statements zu benutzen. Milosevic konnte seinen Prozess auf vier Jahre ausdehnen, bis er selbst 2006 verstarb. Zudem kündigte Karadzic an, den Prozessbeginn boykottieren zu wollen, weil er nicht ausreichend Zeit für eine Vorbereitung gehabt habe. Die Anklageschrift mit einem Umfang von ca. 1 Mio. Seiten hätte auch von Anwälten in der vorgegebenen Zeit nicht durchgesehen werden können. Ein Antrag für eine mehrmonatige Verschiebung des Prozesses wurde Anfang Oktober abgelehnt. Man wird den Prozess auch ohne Karadzic eröffnen können, oder aber ihn zur Teilnahme zwingen.

Hintergründe zur Festnahme

Karadzic wurde zum Ende des Bosnienkriegs von Milosevic faktisch entmachtet, weil dieser sich nicht zu Friedensverhandlungen bereit zeigte. In Dayton verhandelte dann entsprechend Milosevic selbst für die serbische Seite. Nach dem Krieg lebte Karadzic relativ unbehelligt in Pale. Mehrere konzertierte Aktionen der internationalen Truppen in Bosnien zur Festnahme Karadzics blieben erfolglos. Daraufhin entstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Fahndungsbemühungen der Internationalen Gemeinschaft. Die Festnahme am 18. Juli 2008 steht vermutlich in einem Zusammenhang mit dem europafreundlichen Kurs von Präsident Tadic (DS) und der Regierung aus Sozialisten, Liberalen und DS. Die Auslieferung Karadzics, Mladics und Hadzics ist Vorbedingung für die Ratifizierung des im April 2008 unterzeichneten SAA und die Inkraftsetzung des bereits fertig ausgehandelten Interimsabkommens für das SAA. Besonders die Niederlande bestehen auf diesem Junktim. Der immer noch flüchtige Mladic genießt als Ex-General scheinbar immer noch den Schutz serbischer Militärs, auch wenn der junge Verteidigungsminister Dragan Šutanovac (DS) die Existenz einer derartigen offiziellen Direktive vehement bestreitet.

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Radovan Karadzic, geb. 19. Juni 1945 in Montenegro, Abitur und Medizinstudium in Sarajewo, 1975 ein Postgraduiertenstudienjahr in den New York, ab 1976 eigene Psychologiepraxis in Pale mit Spezialisierung auf Gruppentherapien für Neurosen und Depressionen. 1990 erster Vorsitzender der neu gegründeten SDS, 1992 erster Präsident der von ihm durch ein Referendum begründeten Republika Srpska. Rücktritt vom Präsidentenamt am 30. Juni 1996. Karadzic verfasste 5 Gedichtbände und komponierte im Stil serbischer Volksmusik.

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Freilassung Biljana Plavšić

Derweil sorgt in Bosnien die angekündigte vorzeitige Freilassung der Nachfolgerin Karadzics im Präsidentenamt der RS, Biljana Plavšić, für Aufregung. Sie war im Krieg Mitglied des Oberkommandos der bosnisch-serbischen Streitkräfte, stellte sich 2001 freiwillig dem Tribunal und wurde wegen Schuldeingeständnis und kooperativem Verhalten zu nur 11 statt der zu erwartenden 20 bis 25 Jahre Haft verurteilt. Die schwedische Rechtspraxis sieht vor, dass nach der Verbüßung von 2/3 der Strafe bei guter Führung eine vorzeitige Haftentlassung möglich ist. In Absprache mit dem Tribunal wird nun Plavšić vorzeitig entlassen. Plavšić hatte im Januar 2008 in einem Interview mit einer schwedischen Journalistin ihr Schuldeingeständnis allerdings widerrufen. Dies sei nur ein taktisches Manöver gewesen, um den Prozess zu umgehen und ein kürzeres Strafmaß zu erhalten. Von der Übernahme der Verantwortung für die begangenen Verbrechen, die auch eine Bedingung einer vorzeitigen Entlassung ist, kann demnach keine Rede sein.

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