Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Mein Sommerbrief

mailto:

Liebe Freundinnen und Freunde,

Bremen ist in diesem Jahr früh dran mit der Sommerpause – für das Urlaubsgepäck und für die Daheimgebliebenen möchte das „Büro Beck“ wie bisher über das berichten, was wir in den vergangenen Monaten politisch initiiert oder begleitet haben.

Deutsche unter Vorbehalt
Anfang diesen Monats fand ein grüner Vorstoß zur Abschaffung des „Optionszwangs“ im Deutschen Bundestag keine Mehrheit. Diese sonderliche Pirouette des „Einwanderungskompromisses“ stellt 13 Jahre nach Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsrechts die hier aufgewachsenen DoppelstaatlerInnen vor eine schwierige Entscheidung: Sie sollen zwischen dem deutschen Pass und dem des Herkunftslandes der Eltern wählen. Denen, die sich nicht entscheiden, droht der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit. Wohlgemerkt, jedes Kind, das qua „Erbe“ zwei Staatsbürgerschaften der binationalen Eltern erworben hat, wird so einem Entscheidungs- und Loyalitätstest nicht unterworfen. Die Botschaft bleibt: So ganz traut der deutsche Michel den Eingewanderten noch immer nicht über den Weg. Allein in Bremen werden bis zum Jahr 2018 6.000 junge Menschen vor ein solch unsinniges „Entweder-Oder“ gestellt. Fazit: Es ist noch ein weiter Weg bis zu einem Deutschland als Einwanderungsland mit Gelassenheit.
Wie schön, dass wir Grüne da ein Stück weiter sind. Den Bundestagswahlkampf 2013 bestreitet nun mit mir Sülmez Dogan. Ihre Eltern kamen aus der Türkei nach Bremerhaven und Sülmez ist heute Abgeordnete der Bürgerschaft und eine durchsetzungsfähige Rechtsanwältin. Sie sehen anbei die stolzen Kandidatinnen in rot und grün – typisch deutsch, würde ich gerne sagen.

Und nun auf den Balkan:
Im April haben unter Vermittlung der EU die serbische und die kosovarische Regierung ein Abkommen geschlossen, das den Weg frei machen soll für eine Normalisierung der Verhältnisse. Das Abkommen birgt eine historische Chance auf Befriedung eines der gefährlichsten Konflikte auf dem Westbalkan. Und es belegt das Gesetz der „paradoxen Möglichkeiten“ in der Politik: Die Regierung in Belgrad wird von ehemaligen Parteigängern Milosevics gestellt. Anders als die serbischen Sozialdemokraten sind sie vor dem Vorwurf des „Vaterlandsverrates“ eher geschützt als die sozialdemokratische Regierung unter Tadic es war und sind deswegen zu Konzessionen in Bezug auf ein selbstständiges Kosovo bereit. Sowohl Serbien als auch das Kosovo suchen den Weg in die EU – und haben verstanden, dass sie ihn nur gemeinsam gehen können.
Es wird noch ein langer Weg für beide Staaten werden, bis die 35 EU-Kapitel abgearbeitet sein werden. Stolpersteine wird es genug geben. Und dennoch bleibt richtig: Der Balkan gehört zu Europa. Mehr als 20 Jahre liegt der Beginn der blutigen Kriege auf dem Westbalkan nun zurück. Und wie viel Geduld braucht es, um nach dem Schweigen der Waffen die Konflikte von innen zu befrieden.
Das kaum regierbare Bosnien droht nun noch weiter zurückzufallen und ist leider zum Stiefkind auch der deutschen Außenpolitik geworden. Im Juni des kommenden Jahres wird in Sarajevo an den Beginn des blutigen 20. Jahrhunderts auf der Lateinerbrücke erinnert.
Vor 17 Jahren reiste der Bremer Domchor in das kriegszerstörte Bosnien. Zusammen mit der Philharmonie von Sarajevo brachte der Chor mit Kantor Wolfgang Helbig mit dem "Mozart Requiem" die Botschaft des Mitfühlens in die malträtierten Städte. Wir planen, nunmehr als Bremer Rathschor, im geschichtsträchtigen Jahr 2014 mit der gleichen Musik zurückzukehren. Europa ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft - es geht um das friedliche Miteinander aller Völker Europas mit seiner großen Vielfalt und historischen Zerrissenheit.

Eine neue Haltung zu Russland
Die politischen Entwicklungen in Russland sind besorgniserregend. Bei den Protesten nach den manipulierten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zeigte die russische Zivilgesellschaft auf beeindruckende Weise ein neues Selbstbewusstsein. Doch nun gerät sie immer stärker unter Druck. Die gelenkten Medien machen Stimmung gegen Opposition und NGOs. Kremlkritiker sehen sich politischen Prozessen ausgesetzt.
In Windeseile peitschte der Kreml repressive Gesetze im gelenkten Parlament durch: Die Versammlungsfreiheit wurde deutlich eingeschränkt. Der Kreml versucht zunehmend das Internet zu überwachen, das der Bürgergesellschaft den Kommunikationsraum zur Verfügung stellt, den sie dringlich braucht. Die homosexuellen, bisexuellen und transsexuellen Menschen werden zunehmend unterdrückt und ausgegrenzt. Nach dem jüngst verabschiedeten Gesetz kann praktisch jedes öffentliche Bekenntnis zu Homosexualität bestraft werden.
Im EuropaPunkt am Bremer Marktplatz berichtete Hans-Hennig Schröder auf Einladung der Hochschulgruppe von Amnesty International und mir, wie das neue NGO-Gesetz die Arbeit der Zivilgesellschaft bedroht. Die Gruppen, die sich in Politik einmischen und deren Engagement international mitgetragen wird, sollen gezwungen werden, sich selbst als "ausländische Agenten" zu brandmarken. Eine beispiellose Welle der Kontrollen überzieht die NGOs. Allein seit März sind rund 600 Gruppen staatsanwaltschaftlich überprüft worden. Fast alle unsere Partnerinnen und Partner in der russischen Zivilgesellschaft sind von diesen behördlichen Schikanen betroffen.
Im Mai sprach der Vorsitzende der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“, Arsenij Roginskij, zur Fraktion. Er selber hat den Gulag noch durchlitten, denn schon unter Breschnew hat er sich auf die Spurensuche der Stalinzeit begeben. Die über Russland hinaus tätige Organisation setzt sich seit ihrer Gründung 1988 für die Aufarbeitung des Stalinismus und den Schutz von Menschenrechten in der Gegenwart ein. Diese unbeugsamen Menschen, zu denen auch die ermordete Natalja Estemirowa gehörte, sind mir wertvolle, liebe Freunde.
Roginskij ist ein kluger, historisch fundierter Analytiker: Die systematisch angelegten Repressionsschritte des Kreml zielen darauf ab, Russland als ein von feindlichen Mächten umgebenes und von Agenten unterwandertes Land darzustellen. Dieses Denkmuster ist eine Anleihe an die dunkle Zeit des Stalinismus.
Die grüne Fraktion hat sich in ihrer Russlandpolitik folgerichtig neu verortet. Putin kann kein Partner für den demokratischen Wandel und eine gesellschaftliche Modernisierung sein. Niemand will zurück in die Zeiten des Kalten Kriegs. Wir sind für eine intensive, tragfähige und auf gemeinsamen Werten beruhende Partnerschaft mit Russland. Aber die richtigen Partner dafür sitzen nicht hinter den Mauern des Kreml sondern sind in der russischen Bürgergesellschaft. Deswegen fordern wir eine deutliche Abgrenzung zum Repressionsregime. Nicht Wandel durch Anbiederung, sondern deutliche Worte sind die Basis, auf der wir dem Regime Putin entgegentreten.
Es sei hier noch angemerkt, dass Claudia Roth in fast hellseherischer Weise – Wochen vor den Bürgerprotesten in der Türkei, auf die „Putinisierung“ von Ministerpräsiden Erdogan hinwies. Tragisch, dass diese Einschätzung nun zur bitteren Wahrheit geworden ist.

Das offene Gespräch im geschützten Raum findet immer noch als Beck@Home statt.
Nach wie vor sind Bürgerinnen und Bürger, Grüne und Nichtgrüne aus allen Ecken dieser Stadt und aus Bremerhaven zum Gespräch bei Tee und Wein eingeladen. Ich genieße diese ruhige Form des Politisierens sehr – vor, während und nach den Wahlkämpfen.
Kommen Sie, laden Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen ein, die Nachbarn aus der Straße, die Kumpels aus dem Sport oder die Pilatesnachbarin von der Matte. Karen Stroink is the master of ceremony unter 3011-200.

Liebe Freundinnen und Freunde, uns erwarten spannende Wochen. Ich wünsche Ihnen und Euch bis dahin einen schönen, einen sonnigen und erholsamen Sommer.

Es grüßt Sie und Euch herzlich

Marieluise Beck

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