Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Gastkommentar im Weser Kurier: Verunsicherungen ernst nehmen und Antworten geben

26. Mai 2016

Die Wahl des grünen Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen hat zum Aufatmen in ganz Europa geführt. Aber machen wir uns nichts vor: Nur 31 026 Stimmen verhinderten einen rechtspopulistischen Anti-Europäer als Präsidenten von Österreich. Ein „Es ist noch einmal gut gegangen“ kann nicht beruhigen. Spätestens diese Wahl zeigt uns, dass das Friedensprojekt EU ins Trudeln geraten ist und unsere demokratische Gesellschaft ihren inneren Zusammenhalt zu verlieren droht. Die Trennung von Außen und Innen besteht nicht mehr. Denn was außerhalb Deutschlands passiert, hat unmittelbare Folgen auf die Innenpolitik. Ohne Eurokrise und Flüchtlinge wäre die AfD nicht derart erfolgreich.

Objektiv betrachtet erfordern die globalen Herausforderungen eine stärkere Koordinierung internationaler Politik: weniger Nationalstaat und mehr Europa. Subjektiv aber scheint die Rückkehr zu nationalen Antworten einleuchtender zu sein. Die Erschütterung alter Gewohnheiten bekommt zusätzlichen Nährstoff durch die weltweiten Fluchtbewegungen. Die fehlende Bereitschaft vieler europäischer Staaten, diesen Schutzsuchenden Zuflucht zu gewähren, bringt für Deutschland zusätzlichen Druck mit sich. Viele fragen sich: Warum wir – und nicht die anderen? Wie viele werden noch kommen? Was verlangt das unserer Gesellschaft ökonomisch und sozial ab?

Diese aufkommenden Unsicherheiten machen sich rechtspopulistische Parteien zunutze. Sie schüren Ängste vor Veränderung und bieten vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme an: keine Einwanderung, kein Islam im „christlichen Abendland“, keine europäische Integration, stattdessen Rückkehr zum Nationalstaat und zu konservativen Familienbildern.

Angesichts der Schwäche der Volksparteien entsteht ein immer größeres Vakuum in der politischen Landschaft. Es besteht die Gefahr, dass diese Leerstelle von antidemokratischen Kräften besetzt wird. Rechtsextremen Kräften muss mit den Mitteln des demokratischen Rechtsstaates begegnet werden. Mit den Anhängern der Populisten jedoch muss in eine ernsthafte Auseinandersetzung gegangen werden. Wir müssen Verunsicherungen ernst nehmen und Antworten geben, die wieder Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik vermitteln.

Politik ist dafür verantwortlich, dass die Zumutungen der Krisen nicht vor allem bei den sozial Schwächeren ankommen. Fairness und Solidarität sind wichtig für den Zusammenhalt einer demokratischen, offenen, vielfältigen und damit durchaus spannungsgeladenen Gesellschaft. Im Kern geht es heute um den Erhalt der liberalen Demokratie.

Unsere Gastautorin ist Bremer Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecherin für Osteuropapolitik. Von 1998 bis 2002 war sie Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Beck war von 1991 bis 1994 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.

 

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