Seit 2008 verfolgt die EU gegenüber den Nachfolgestaaten Jugoslawiens eine Politik der Visumsliberalisierung. Damit soll das Reisen der Bürger in die EU erleichtert, die Entwicklung demokratischer Gesellschaften und die europäische Perspektive der Länder unterstützt werden. Alle Länder der Region verfügen bereits über Visumserleichterungsabkommen mit der EU. Bosnien und Herzegowina sowie Albanien wurde im Juni 2009 von der Europäischen Kommission attestiert, die Voraussetzungen der Fahrpläne zur Erlangung der Visumsbefreiung für die EU noch nicht ausreichend erfüllt zu haben. Obwohl Bosnien und Herzegowina bis Herbst 2009 die noch ausstehenden Reformen durchführte und damit alle nötigen Voraussetzungen erfüllte, blieb der Europäische Rat bei der Empfehlung der Kommission und beschloss Ende November 2009 die Visumsbefreiung nur für Serbien, Makedonien und Montenegro. Nach massiven Protesten aus dem Europäischen Parlament gegen diese Ratsentscheidung schlossen beide Gremien eine Vereinbarung, die Visumsbefreiung für Bosnien und Herzegowina möglichst schnell nachzuholen und das nötige Verfahren hierzu als bald zu initiieren.
Nach dem Vertrag von Lissabon muss die Kommission zunächst die gemachten Fortschritte in Bosnien und Herzegowina überprüfen und eine entsprechende Bewertung vorlegen. Sollten alle Bedingungen erfüllt sein, schlägt sie die Visumsbefreiung für bosnische Staatsbürger vor, der das Europäischen Parlament zustimmen muss, bevor der Europäische Rat diesen Akt beschließen kann. Entsprechend entsandte die Kommission Mitte Februar 2010 eine Expertenmission nach Bosnien und Herzegowina sowie nach Albanien. Die abgestimmten Ergebnisse der Mission wird die Kommission vermutlich Mitte April vorlegen können. Nun gibt es Nachrichten, der geplante Beschluss zur Visumsbefreiung für bosnische Staatsbürger könnte nicht wie vorgesehen bis Juli 2010 erfolgen. Ursache hierfür könnte die Dauer des Verfahrens bis zum Ratsbeschluss oder aber mangelnde Fortschritte in Albanien sein, für das möglicherweise eine Paketlösung gemeinsam mit Bosnien und Herzegowina zur Visumsfreiheit angedacht ist.
Schon die Verweigerung der Visumsfreiheit für Bosnien und Herzegowina im November 2009 durch den Europäischen Rat war eine äußerst fragwürdige Entscheidung, weil das Land offensichtlich inzwischen alle Bedingungen erfüllt hatte und man zudem gegenüber Serbien offenbar Kulanz bei der Erfüllung der Bedingungen walten lies, um der pro-europäischen Stimmung in Serbien keinen Abbruch zu tun. Dieser Umstand drohte, die Spannungen zwischen den Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina zu verstärken. So können die bosnischen Kroaten bereits seit geraumer Zeit mit einem kroatischen Zweitpass visumfrei in die EU reisen. Mit der Ratsentscheidung vom November wurde diese Perspektive nun auch den bosnischen Serben eröffnet. Lediglich die muslimische Bosniaken als maßgeblich leittragende Volksgruppe des Bosnienkriegs benötigen weiterhin ein Visum für die EU.
Die Bosnien und Herzegowina nun gerechterweise zustehende Visumsbefreiung wegen verfahrenstechnische Problem auf Seiten der EU erneut zu verzögern, kann nicht hingenommen werden. Die EU würde so erneut verantwortungslos gegenüber Bosnien und Herzegowina handeln, das stark unter der lähmenden Verfassung des Friedensvertrags von Dayton leidet. Auf die drohende Fehlentscheidung der EU verweisend richtete Marieluise Beck folgende Fragen zum Stand des Verfahrens an die Bundesregierung, die diese leider wie so oft wenig erkenntnisbringend beantwortete:
Frage von Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
1. Wird nach Kenntnis der Bundesregierung die Europäischen Kommission rechtzeitig ihre aktualisierte Bewertung der Umsetzung des Fahrplans für die Visumsbefreiung für Bosnien und Herzegowina und einen Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 mit dem Ziel der Visumsfreiheit für bosnische Staatsbürger vorlegen können, damit der Europäische Rat noch bis Juli 2010 einen entsprechenden Beschluss fassen kann, angesichts der Einschätzung des unabhängige Instituts European Stability Initiative, wonach das Land bereits im September 2009 alle Bedingungen des Fahlplans als erfüllt hätte, und angesichts der zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament am 10. November 2009 geschlossenen Vereinbarung, in der beide die Kommission zur schnellst möglichen Vorlage ihrer aktualisierten Bewertung auffordert und ihrerseits eine dringliche Befassung des Rechtsaktes zusagen?
Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper:
Die Europäische Kommission beabsichtigt nach eigenen Angaben Mitte April 2010 einen Evaluierungsbericht über die Expertenmission vorzulegen, die sie im Februar 2010 durchgeführt hat. Darin wird sie die Erfüllung der Kriterien des gemeinsam mit Bosnien und Herzegowina aufgestellten Fahrplans zur Visumsfreiheit bewerten.
Von den Ergebnissen dieses Berichts wird abhängen, ob die Europpäische Kommission die Aufhebung der Visumspflicht für Staatsangehörige Bosnien und Herzegowinas für Aufenthalte im Schengenraum von bis zu 90 Tagen im Halbjahr vorschlagen wird. Die Annahme dieses Vorschlags müsste anschließend vom Rat und Europäischem Parlament im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (Art. 294 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) beschlossen werden.
Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, wie der Bericht der Kommission ausfallen wird. Sie hält weiterhin an der gemeinsamen Erklärung von Rat und Europäischem Parlament vom 30. November 2009 fest, wonach ein Vorschlag zur Visumsfeiheit für Bosnien udn Herzegowina vorgelegt werden soll, sobald alle Kriterien des Fahrplans durch Bosnien und Herzegowina erfüllt sind.
Frage von Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
2. Waren deutsche Vertreter an der Expertenmission der Europäischen Kommission im Februar 2010 nach Bosnien und Herzegowina zur Beurteilung der Umsetzung des Fahrplans für die Visumsbefreiung für bosnische Staatsbürger beteiligt und falls ja, welche Punkte des Fahrplans waren für die deutschen Vertreter von besonderem Interesse?
Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper:
Es waren keine deutschen Vertreter an der Expertenmission der Europäischen Kommission nach Bosnien und Herzegowina im Februar 2010 beteiligt.
Frage von Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
3. Wie bewerteten die deutschen Vertreter der Expertenmission nach Bosnien und Herzegowina im Februar 2010 die von ihnen als wesentlich erachteten Punkte des Fahrplans zur Visumsbefreiung nach Bosnien und Herzegowina und wie begründen sie diese Bewertung?
Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper:
Auf die Antwort der zweiten Frage wird verwiesen.
Frage von Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
4. Was wäre nach Ansicht der Bundesregierung der nächst mögliche Zeitpunkt für die Visumsbefreiung für bosnische Staatsbürger, sollte diese aufgrund der Verfahrensdauer oder wegen eines gemeinsamen Verfahrens mit dem möglicherweise noch nicht die Bedingungen erfüllenden Albanien nicht bis Juli 2010 beschlossen werden und was unternimmt die Bundesregierung, um das Ziel der Visumsbefreiung für bosnische Staatsbürger noch bis Juli 2010 zu ermöglichen?
Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper:
Auf die Antwort der ersten Frage wird verwiesen. Eine Verzögerung der Aufhebung der Visumspflicht für Bosnien und Herzegowina aufgrund eines gemeinsamen Verfahrens mit Albanien wird es nicht geben, weil jedes Land entsprechend den individuellen Fortschritten bei der Erfüllung der Fahrpäne bewertet wird.