Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Was ist eigentlich los in Polen?

Nachgefragt bei … Prof. Dr. Gregor Feindt:
 
Polen hat im vergangenen Oktober Konservativ gewählt und die Regierungsübernahme der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ hat einen deutlichen Rechtsruck bewirkt.
 
Zusammen mit dem EuropaPunktBremen bieten wir regelmäßig Gespräche zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen an. Mitte Januar hatten wir Prof. Dr. Gregor Feindt zu Gast. Er ist Zeithistoriker beim Leibniz-Institut für europäische Geschichte in Mainz und aktuell Juniorprofessor an der Universität Bremen.
 
Nun also die Frage: Was ist los in Polen?
Die Art der politischen Wende in Polen kam für Prof. Feindt nicht überraschend. Es sei üblich, dass neu gewählte Regierungen nahezu alle Posten neu besetzen und „reinen Tisch machen“.
Wie diese Reformen nun jedoch umgesetzt wurden, sei durchaus besorgniserregend: Durch das umstrittene Reformgesetz sei die Handlungsfähigkeit des polnischen Verfassungsgerichts stark geschwächt. Auch die Schnelligkeit, mit der das neue Gesetz über Nacht verabschiedet wurde, sei laut Feindt ungewöhnlich. Durch die Weigerung des Präsidenten Andrzej Duda, drei von der ehemaligen Regierung gewählte Verfassungsrichter zu ernennen, ähnele das Vorgehen der Regierung dem von klassischen Staatsstreichen.

Es sei jedoch übertrieben, diesen Begriff auf den gesamten Regierungswechsel zu beziehen oder es gar einen Putsch zu nennen, meint Prof. Feindt: „Die Wahl fand demokratisch statt“.
Auch sollen sich viele der Proteste nicht gegen die Regierung an sich, sondern gegen deren Vorgehen positioniert haben. Die allgemeine Legitimität sei also nicht infrage gestellt.
 
Nach der Beantwortung, in welche Richtung der politische Wind in Polen nun wehe, stellt sich die Frage: Wie steht die neue PiS-Regierung zu Europa?
An dieser Stelle stellt Prof. Feindt klar, dass der Begriff Europa von Parteichef Jarosław Kaczyński anders verwendet und dargestellt werde, als es beispielsweise in Deutschland geschehe. Europa sei für viele Anhänger der PiS bezogen auf abendländische Kultur, Konservatismus und europäische Werte. Auch spiele die katholische Kirche eine weit größere Rolle als in vielen anderen Ländern der EU.
 
Diese Punkte stünden nicht im Einklang des Europas der westlichen Werte: bspw. wirtschaftliche und persönliche Freiheit, Säkularismus und der liberale Umgang mit Homosexualität. Diese würden von der PiS eher abgelehnt. Hier könne man durchaus Parallelen zur Politik Putins oder Orbáns ziehen.

Wenn man also über die Einstellung der polnischen Regierung zu Europa diskutieren möchte, solle man diese deutliche Differenz berücksichtigen: Im Rahmen der Vorwürfe, die Entwicklung in Polen schade der Europäische Union, könnte die polnische Antwort lauten: Wir sind eines der wenigen Bollwerke Europas überhaupt.
 
Wie die weitere Entwicklung in Polen aussehen wird, bleibt laut Prof. Feindt abzuwarten. Als Historiker hüte man sich davor, aus Geschehnissen der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft zu treffen. Marieluise Beck schließt mit der Aussicht, dass die Regierung ihrer Linie treu bleiben werde. Auch gebe es aktuell keine Anzeichen einer möglichen Kooperation vonseiten der Opposition.
 
 
L. Berger
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