Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Besuch im Flüchtlingslager: Jordanien ist vollkommen überfordert

In den vergangenen zwei Tagen habe ich Sigmar Gabriel (SPD) bei einem Besuch im Flüchtlingslager Za‘atari in Jordanien begleitet. Dort leben schätzungsweise 80.000 Syrer, die Hälfte von ihnen unter 18 Jahren. Zelte, soweit das Auge reicht, dazwischen Container, Hütten, Staub. 80.000 Menschen, das ist fast die Größe von Bremerhaven. Das Lager darf nur mit Passierscheinen verlassen werden. Im Sommer ist es unerträglich heiß - im Winter sehr kalt und es schneit.

Der größere Teil der syrischen Flüchtlinge lebt außerhalb von Lagern. Es mangelt an Jobs, an Wohnungen, am Zugang zum Gesundheitswesen. Die Menschen sind nicht ausreichend mit Lebensmitteln und Wasser versorgt. Das World Food Programm leidet unter chronischer Finanznot, ebenso der UNHCR. Die monatliche Versorgung durch das World Food Programm ist von 27$ auf 13$ gekürzt und 220.000 Menschen ganz aus dem Programm herausgenommen worden. Das Internationale Rote Kreuz schließt im Oktober sein Krankenhaus wegen eines Fehlbedarfs von 10 Millionen Dollar. In den Familien gibt es nach Aussage von Helfern sehr viel sexualisierte Gewalt. Early marriages (d.h. mit 13 Jahren) sind an der Tagesordnung, um auf diese Weise die Töchter zu versorgen.

Eine Perspektive gibt es für diese Menschen nicht. Weder können sie sich Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nach Syrien machen, noch können sie sich in Jordanien wirklich niederlassen.

Schon vor Ausbruch des Krieges in Syrien gab es in Jordanien etwa 800.000 Syrer als "Gastarbeiter". Nun sind 600.000 Flüchtlinge hinzugekommen. Die Unruhe unter den Jordaniern über so viele Gäste auf Dauer wächst. Es gibt Misstrauen gegenüber Flüchtlingen und den sie versorgenden Institutionen. Die Syrer müssen ihre Arbeitskraft zu Dumpingpreisen auf dem Arbeitsmarkt anbieten - oft als Illegale. Sie drohen, andere Jordanier zu verdrängen. Arme Einheimische fühlen sich benachteiligt, wenn Flüchtlinge vom UNHCR versorgt werden. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu und die Preise für Mieten und Lebensmittel steigen. Die 1,4 Millionen Syrer, die in Jordanien Aufnahme gefunden haben, würden hochgerechnet auf Deutschlands Bevölkerung etwa 10 Millionen Flüchtlinge bedeuten. Wenn die internationale Gemeinschaft hier nicht entschiedener finanziell ins Obligo geht, droht Jordanien zu implodieren. Für den Libanon sieht die Situation nicht anders aus.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich in Kriegsgebieten bewege. Aber die Dimension der Krise, die ich in Jordanien gesehen habe, hat mich tief erschrocken. Und es muss damit gerechnet werden, dass der Flächenbrand in der Region eher noch weiter geht, als dass eine Beruhigung eintritt. Auf jeden Fall muss die internationale Gemeinschaft wenigstens die UN finanziell in die Lage versetzen, die bescheidenste Grundversorgung vor Ort aufrecht zu erhalten.

Anbei noch ein kurzes Interview: Besuch im jordanischen Flüchtlingslager, [5:09].