Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Antwort der Bundesregierung zur Auslieferung Mladics

Bislang stellt die EU ihre Beziehungen zu Serbien unter der Vorbehalt der uneingeschränkten Zusammenarbeit des Landes mit dem Haager Tribunal. Ziel ist, Serbien zu verstärkten Bemühungen zur Auffindung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Goran Hadzic zu drängen. Menschenrechtsorganisationen und auch der Chefanklägers des Haager Tribunals gehen davon aus, dass Serbien nicht alles unternimmt, um die in Serbien zum Teil als Helden verehrten Angeklagten zu finden.

Die EU lässt sich halbjährlich vom Chefankläger Brammertz über die Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager Tribunal unterrichten. Auf Basis seines Berichts entscheidet die EU über den Fortgang der Annäherung mit Serbien. Innerhalb der EU forderten vor allem die Niederlande die Auslieferung Mladics, der für den Genozid von Srebrenica verantwortlich gemacht wird. Niederländische Blauhelm-Soldaten konnten 1995 nicht Genozid nicht verhindern.

Seit Antritt der EU-freundlichen Regierung unter Präsident Tadic wurde von Seiten der EU seine Politik durch Fortschritte in der Annäherung unterstützt und dies mit einer guten Zusammenarbeit mit Den Haag begründet. So wurde 2008 mit Serbien ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) unterzeichnet. Ende 2009 wurde Visafreiheit gewährt und das bis zur Ratifizierung des SAA durch die nationalen EU-Parlamente geltende Interimsabkommen in Kraft gesetzt. Um den Druck zur Auslieferung von Kriegsverbrechern aufrecht zu erhalten, wurden die Ratifizierung des SAA und die Umsetzung des Interimsabkommens zuvor unter den Vorbehalt der uneingeschränkten Kooperation mit dem Haager Tribunal gestellt. Serbien hat großes Interesse an den wirtschaftlichen Vorteilen dieser Abkommen.

Am 14. Juni 2010 beschloss der Rat der EU-Außenminister aufgrund einer positiven Einschätzung des Haager Chefanklägers Brammertz, nun auch die Ratifizierung des SAA zu beginnen. Allerdings äußerte sich hierzu der Ankläger selbst überrascht. In seinem letzten Bericht habe er die Bemühungen Serbiens zur Auslieferung von Mladic und Hadzic viel kritischer beurteilt als sechs Monate zuvor. Von einer Verbesserung könne also keine Rede sein. Er mahnte vehement an, dass nur politischer Druck bislang wirksam zur Auslieferung von Angeklagten, wie zuletzt von Karadzic, geführt hätte. Er warnte vor einem Nachlassen in dieser Frage. Zudem habe er zunehmend bei Gesprächen in den europäischen Hauptstädten das Gefühl, dass seine Forderung nach Auslieferung der Angeklagten als anachronistisch und zu sehr rückwärts gewandt aufgefasst werde.

Es steht also zu befürchten, dass die EU die Forderung nach der Auslieferung Mladics und Hadzics zugunsten einer EU-Annäherung Serbiens aufgibt. Allerdings ist eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Jugoslawienkriege für Frieden und Stabilität in der gesamten Region unerlässlich. Auch ist die Ahndung derartiger Verbrechen wichtig für eine EU, die sich vor allem als Wertegemeinschaft versteht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, in wieweit die EU sich selbst einen Gefallen tut, wenn sie bereits vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien signalisiert, dass sie die viel gepriesene Konditionalität im Annäherungsprozess nicht durchzuhalten vermag, sondern vielmehr in Form von Deals politisch zu agieren bereit ist.

Marieluise Beck fragte die Bundesregierung, wie die widersprüchliche Bewertung des Berichts von Brammertz durch die EU und durch Brammertz selbst zu erklären sei:

Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Wie erklärt die Bundesregierung die positive Bewertung des letzten Halbjahresberichts des Anklägers Serge Brammertz zur Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager Tribunal durch die EU, die den Rat der EU-Außenminister am 14. Juni 2010 dazu veranlasste, die ausgesetzte Ratifizierung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit Serbien nun in Gang zu setzen, obwohl der Ankläger selbst mehrfach öffentlich Unverständnis für die Entscheidung der EU äußerte (Die Welt am 10.7.2010, dpa 201617 Sep 10 am 20.9.2010, Deutschlandfunk am 24.9.2010, 9:12) und betonte, er habe in seinem Bericht vor allem die Bemühungen Serbiens zur Ergreifung Ratko Mladics und Goran Hadzic deutlich kritischer bewertet als noch 6 Monate zuvor, und wird sich die Bundesregierung im Rahmen der EU dafür einsetzen, dass der von Brammertz angemahnte Druck auf Serbien als einzig effektives Mittel zur Auslieferung der gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher aufrecht erhalten wird?

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ), Serge Brammertz, hat dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten am 14. Juni 2010 zum aktuellen Stand der Zusammenarbeit Serbiens mit dem IStGHJ berichtet. Der Rat stellte anschließend einstimmig fest, dass Serbien seine Zusammenarbeit mit dem IStGHJ fortgesetzt hat, damit weitere positive Ergebnisse erzielt werden können. Die Minister vereinbarten, ihren Parlamenten nunmehr das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zur Ratifizierung zu unterbreiten. Sie forderten gleichzeitig Serbien auf, den Empfehlungen des Anklägers zu entsprechen. Die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem IStGHJ bildet ein wesentliches Element des zu ratifizierenden Abkommens.

Nach Verabschiedung im Bundeskabinett wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf zum deutschen Ratifikationsgesetz dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zuleiten.

Unverändert fordern die Europäische Union und die Bundesregierung Serbien nachdrücklich zur vollständigen Zusammenarbeit mit dem IStGHJ auf. Serbien muss alles in seiner Macht Stehende tun, um die beiden noch flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Goran Hadzic zu verhaften und an den IStGHJ zu überstellen. Der Stand der Zusammenarbeit mit dem IStGHJ wird im Rahmen des EU-Heranführungsprozesses weiterhin eine hohe Bedeutung einnehmen. Dies wird insbesondere für die noch zu fertigende Stellungnahme der Europäischen Kommission zum serbischen EU-Beitrittsantrag und die anschließende Schlussfolgerung des Rats der Europäischen Union gelten.

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