Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Sommerbrief - Belarus | Ukraine | Nationalismus | US-Geheimdienste

Berlin und Bremen, im Juli 2014

 

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

bevor es für uns alle in die Sommerferien geht - anbei noch ein kurzer Bericht zu den turbulenten außenpolitischen Entwicklungen der letzten Tage und Wochen.

Wiedersehen in Belarus

Beginnen möchte ich mit einer positiven Nachricht: Nach drei Jahren Einreissperre ließ mich die belarussische Regierung endlich einreisen. In Minsk traf ich Angehörige von politischen Gefangenen, die tapfer ihren Männern und Söhnen über die Monate und Jahre in der Haft beistehen. Sie baten inständig darum, die politischen Gefangenen in Belarus nicht zu vergessen. Je öfter wir an ihre Namen erinnern, desto leichter hätten diese es in der Haft und umso weniger würde das Regime es wagen, Druck auf sie auszuüben. Dem Regime geht es darum, die Gefangenen zu brechen und ihnen Schuldeingeständnisse abzupressen. Besonders dem zu acht Jahren verurteilten Igor Olinewitsch geht es schlecht. Er hat in der Haft Probleme mit dem Herzen und dem Rücken bekommen, obwohl er erst 30 Jahre alt ist. Jewgenij Waskowitsch wird seit sechs Monaten zusätzlich zu seiner siebenjährigen Haft mit Isolationshaft bestraft. Er darf jetzt nur noch einmal im Jahr Besuch von seiner Familie erhalten. Auch Artiom Prokopenko kämpft mit starken gesundheitlichen Problemen.

Besonders gefreut habe ich mich, in Minsk die Bürgerrechtler wiederzutreffen, mit denen wir seit vielen Jahren eng zusammen arbeiten. Sie beobachten die Entwicklungen in der Ukraine mit großer Sorge und fürchten, dass der Kreml auch gegen Belarus vorgehen könnte. Die russischen Medien sind auch in Belarus tonangebend und hinterlassen in den Köpfen der Menschen ihre Spuren. Die Kreml-Propaganda führt nicht nur in Russland dazu, dass jegliches liberale, bürgerrechtliche Agieren immer schwieriger wird. Auf den Straßen in Minsk werden von anonymen Menschen bereits Russland-Fähnchen verteilt. Es gibt neue Online-Portale, die täglich über angebliche Diskriminierung von Russen berichten - das könnte die Blaupause sein, nach der Putin Belarus zum "Schutz der Russen" unter das Dach des Kreml zurückholen möchte.

Ich habe versprochen, dass wir nach der Sommerpause einen neuen Vorstoß zu einer Visumsliberalisierung für Belarus unternehmen. Die Bürgerinnen und Bürger in Belarus zahlen mit 60 Euro die höchsten Visumsgebühren der Länder der östlichen Partnerschaft. 60 Euro bei einem durchschnittlichen Einkommen von 400 Euro können sich viele nicht leisten. Das Zusammenwachsen Europas von unten können wir aber am einfachsten mit intensivem Austausch unterstützen und damit dem diktatorischen Regime und der nationalistischen Propaganda aus Russland mit einem wirksamen friedlichen Mittel etwas entgegensetzen.

Ukraine und die Erinnerung an Bosnien

Die Entwicklungen in der Ukraine erinnern mich in vielem an die Kriege des zerfallenden Jugoslawien von vor zwanzig Jahren. Damals wurde der ex-KP-Mann Milosevic zum nationalistischen Führer und erklärte, dass dort serbischer Boden sei, wo ein Serbe lebt. Jetzt beansprucht Putin, dass die russische Regierung dort ein Eingriffsrecht habe, wo Russen leben. Auch in Bosnien wurde der Krieg von außen durch Paramilitärs ins Land getragen. Die von Serbien geschürte Gewalt fraß sich immer tiefer in die Gesellschaft. So wurde der von außen entfesselte Krieg letztlich auch zu einem Bürgerkrieg. Und noch heute können viele Menschen nicht verstehen, wie es möglich war, so viel Gewalt zwischen ihnen zu säen.

Erst nach dem großen Morden von Srebrenica entschied sich die Weltgemeinschaft, gemeinsam zu handeln. Im Fall der Ukraine geht es sicher nicht um eine militärische Intervention. Aber dennoch ist die EU nicht dazu verdammt, hilflos zuzusehen, wie der Krieg eskaliert. Es ist auch nicht so, dass man nicht wissen kann, wer diesen Konflikt ins Werk gesetzt hat und weiterhin Öl ins Feuer gießt.

In die Ostukraine sickern russische Paramilitärs, Spezialeinheiten und immer mehr schweres Gerät. Es folgt, was Putin will: Destabilisierung, Gewalt, Chaos. Denn nichts fürchtet Putin mehr als eine demokratische Bürgerbewegung à la Maidan auf dem Roten Platz.

Die Regierung in Kiew steckt vor einem unauflösbaren Dilemma: Wenn sie die schleichende Machtübernahme der bewaffneten Sturmtrupps hinnimmt, verliert sie vollends die Kontrolle über den Südosten und die Separatisten könnten sich als nächstes Odessa und Charkow vorknöpfen.

Meine Besuche dort zeigten mir, welche Panik die Menschen dort bei so einem Gedanken haben. Wenn die Kiewer Regierung jedoch gewaltsam gegen die Separatisten vorgeht, riskiert sie eine Eskalation der Gewalt, den Verlust der Zustimmung der Bevölkerung und eine russische Intervention. Ich bin fest davon überzeugt, dass nur das gemeinsame Agieren der internationalen Staatengemeinschaft unter Einsatz aller diplomatischen Mittel (dazu gehören auch wirksame Sanktionen, selbst wenn der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft jammert) der Gewalt ein Ende setzen kann. Der Kreml muss spüren, dass der Preis für sein Handeln hoch - zu hoch ist.

Russischer und europäischer Nationalismus

Niemand will zurück in den kalten Krieg. Aber Putin steht nicht mehr für ein "sozialistisches Russland" gegen den westlichen Kapitalismus. Putin deckt ein System von Oligarchie, Geheimdienst und Bereicherung weniger - und für den Machterhalt ist er zu vielem bereit. Dazu bedient sich seine Propaganda zunehmend nationalistischer und reaktionärer Töne und macht der russisch- orthodoxen Kirche immer neue Zugeständnisse (dazu gehört die Abwertung der Homosexuellen).

Eine besonders laute und einflussreiche Stimme für diese Ideologie kommt von dem russischen Politikwissenschaftler und Chefideologien der "Eurasischen Bewegung" Alexander Dugin, der sich aktiv gegen die Universalität von Menschenrechten, gegen Demokratie und gegen die Moderne ausspricht. Dugin ist Berater des russischen Parlamentspräsidenten, hat gute Beziehungen in die Präsidialadministration und tritt seit Monaten regelmäßig im staatlich gelenkten Fernsehen auf. Zurzeit reist er unermüdlich durch Europa, um neue Anhänger für seine Lehre zu gewinnen.

Kaum zu glauben, aber das Russland Putins ist heute das Idol aller Rechtspopulisten und Nationalisten in Europa. Marine Le Pen ist häufiger Gast in Moskau. Parlamentarier von Lega Nord preisen Russland als „Modellgesellschaft“, wenn es um nationale Identität und um den Schutz der Familie geht. Im EU-Wahlprogramm der NPD heißt es: "Wir Nationaldemokraten sind – genauso wie Präsident Putin in Russland – gegen einen multikulturellen Bundesstaat Europa." Der Vorsitzende der griechischen „Goldene Morgenröte“ spricht von einer natürlichen Allianz zwischen der „Seemacht“ Griechenland und der „Landmacht“ Russland. Das einigende Band zwischen Putin und den Rechten ist der ethnische Nationalismus und die Abwehr von allem, was sie als "westliche Dekadenz" bezeichnen: Feminismus, die Gleichstellung von Homosexuellen, eine liberale, pluralistische und multikulturelle Gesellschaft.

In dieses Gebräu gehört auch die generelle Ablehnung des "westlich-dekadenten" Europa und der USA. So erklärt Alexander Dugin beispielsweise in einem Interview mit dem Spiegel: „Unsere [russische] Gesellschaft will kein McDonald's und kein iPhone.“ Die irrwitzige Politik der US-Geheimdienste spielt dieser Propaganda in die Hände. Sie dient leider denen, die die transatlantischen Partner einander entfremden und einen Keil zwischen Europa und Amerika treiben wollen.

Auch wenn die Ursachen des NSA-Spionageskandals bei dramatischen Fehlentwicklungen innerhalb der amerikanischen Geheimdienste liegen, sind deren Nutznießer auch die anti-westlichen Propagandisten von NPD bis FPÖ sowie vom Front National bis zu Alexander Dugin. Welche Allianzen in dieser Gemengelage zu Tage treten, ist auch einem Kommentar von Jakob Augstein auf Spiegel Online zu entnehmen, in dem dieser als Konsequenz der Abhöraktionen der USA mehr "Ehre und Stolz" in der deutschen Politik einfordert und verlangt, sich künftig von den "Rachegesellschaften" in den USA und Israel abzuwenden. Dieser Kommentar von Augstein erfuhr öffentliches Lob von der NPD, nach dem Motto: "Herr Augstein bringt es auf den Punkt ...".

Obama muss seine Geheimdienste an die Leine legen

Dass gerade auch wegen dieser unguten Entwicklungen die Amerikaner aufgefordert sind, ihre Geheimdienste endlich an die Leine zu legen, haben wir Obleute des außenpolitischen Ausschusses in der letzten Woche in Washington unseren amerikanischen ParlamentskollegInnen sehr deutlich vorgetragen. Vielen Kolleginnen und Kollegen dort war das Ausmaß der Entfremdung zwischen Europa und den USA gar nicht bewusst. Nach dem Schock von 9/11 steht nach wie vor Sicherheit vollständig vor Bürgerrechten. Immerhin: Drei Senatoren haben nach unserem Besuch Präsident Obama öffentlich aufgefordert, endlich die Arbeit der Geheimdienste gegenüber befreundeten Ländern strenger zu kontrollieren.

Während wir diesen wunderbaren Sommer genießen dürfen, brennt die Levante, herrscht Krieg in der Ukraine und findet die Gewalt zwischen der Hamas und Israel kein Ende. Und dabei schauen wir noch nicht einmal nach Zentralafrika, in den Südsudan oder in den Kongo.

Man könnte meinen, die Welt sei außer Rand und Band geraten.

 

Es grüßt Sie und Euch alle

Marieluise Beck

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