Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

"Es ist der schiere Albtraum" - Ein Bericht aus dem Flutgebiet

Bosnien und Herzegowina, 23. Mai 2014

 

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

die schrecklichen Bilder im deutschen Fernsehen, die uns aus den Überschwemmungsgebieten erreichen, zeigen nur einen Bruchteil der wirklichen Zerstörung. Mit der Flut kam unermessliches Leid auf die Menschen zu. Viele verlieren zum zweiten Mal in ihrem Leben ihr Zuhause. Gerade Flüchtlinge und neue Betriebe hatten sich in den billigeren Lagen an den Ufern neu angesiedelt. Dass viele von ihnen nun ein zweites Mal vor einer zerstörten Existenz stehen, ist eine unfassbare Prüfung.

Ich bin vorgestern nach Sarajevo geflogen und dann in Begleitung des taz-Journalisten Erich Rathfelder, der seit dem Bosnienkrieg in Sarajevo und Dalmatien lebt, in den Norden gefahren. Wir kennen beide die Region sehr gut, weil wir in den Kriegsjahren dort gemeinsam unterwegs gewesen sind.

Wir reisten zu den Kommunen, die durch Fluten und Erdrutsche getroffen worden sind. Dort sieht man den schieren Albtraum. 20 Jahre, nachdem die Menschen sich nach dem grässlichen Krieg wieder aufgerappelt haben, nun wieder so ein Schlag. Eines jedoch ist großartig und überrascht und freut die Menschen sehr: Alle helfen allen - ohne Ansehen der Volkszugehörigkeit. Die ethnische Frage spielt keine Rolle mehr.

Der erste Stopp ist Lukavac. Das größte Problem sind hier nicht die Häuser, sondern die zerstörten Produktionsstätten, die im Tal angesiedelt und vollständig geflutet worden sind.

Wir besuchen den Betrieb FEN-BH und werden von dem sehr zupackenden Betriebsleiter Muhamed Murselović geführt. Er hat lange Jahre in Mettmann gearbeitet und dann für das kleine deutsche Unternehmen eine Dependance in Lukavac aufgebaut. Gefertigt wurden hochwertige Boxbetten für den EU Markt. Nicht nur alle Maschinen sind vom Wasser geflutet worden, sondern auch die Materialien, die als Produktionsvorrat für drei Monate vorgehalten wurden. Kein Liefertermin kann mehr eingehalten werden. Die Löhne wurden ausgezahlt, obwohl die Insolvenz sowohl für den deutschen Mutterbetrieb als auch für die Lukavacer Fabrik unabwendbar ist, wenn nicht binnen Tagen neue Finanzquellen aufgetan werden. Das bedeutet Erwerbslosigkeit für etwa 600 Menschen, die in der Folge auch ihre zerstörten Häuser nicht wieder herstellen und Kredite für diese Häuser nicht mehr bedienen können.

Weiter nach Orašje, einem kroatisch besiedelten Ort. Hier hat der Damm des Flusses Save gehalten, jetzt allerdings kommt das Wasser "von hinten" über die Auen in die Siedlungen. Es wird mit Macht abgepumpt. Mit dabei ein Einsatzteam des Technischen Hilfswerks. Wir treffen auch auf Gerätschaften aus Lettland und Belgien und Helfer aus Tschechien. Das ist Europa!

Bosanski Šamac: Diese Gemeinde kann auf regulärem Wege nicht mehr erreicht werden. Ein Einheimischer führt uns über weite Umwege bis an den gefluteten Ort heran. Das ist der schiere Albtraum. Vor den Häusern türmt sich der verschlammte Hausrat, Matratzen, tote Tiere. Die Menschen arbeiten schon mit Mundschutz. Der Gestank ist sehr unangenehm.

Doboj ist besonders hart getroffen. Die gesamte Stadt ist bis zur Deckenhöhe des ersten Stocks geflutet gewesen. Das heißt, quasi alle Geschäfte, öffentliche Gebäude, Polizei, Gemeindebüros, Restaurants - alles ist zerstört. Die Menschen arbeiten in Gummistiefeln mit Schaufeln, zum Teil laden Schaufelbagger die Berge von verschlammtem Müll auf LKWs und transportieren die Ladungen ab.

Tuzla: Hier stehen die Kohlegruben unter Wasser, die das Kraftwerk beliefern. Es ist uns schnell klar: bei Stromausfall kommt die Produktion zum Erliegen. Es wird damit gerechnet, dass das Abpumpen der Gruben drei Monate dauern kann. Bürgermeister Jasmin Imamović berichtet von der entschlossenen und vorbildlichen Hilfe, die die Gemeinden sich untereinander geleistet hätten. Die Frage der Zugehörigkeit zur Republika Srpska oder zur Föderation, die ethnische Frage sei vollkommen unerheblich geworden, quasi mit den Fluten weggespült.

Imamović hat eine Initiative gestartet, die die Kommunen schnell mit Mitteln versorgen soll. Alle Kommunen, sowohl in der Republika Srpska als auch in der Föderation seien qua Gesetz verpflichtet, in den kommunalen Budgets Gelder für den Bau von gegen atomare Verseuchung errichtete Bunker zurückzulegen. Diese Mittel sollten sofort in beiden Entitäten freigegeben werden und zur Wiederaufbauhilfe umgewidmet werden. Bürgermeister Imamović ist unkonventionell und zupackend. Auf der kommunalen Ebene gibt es durchaus eine ganze Menge solcher Leute.

Imamović weist darauf hin, dass sie gegen die Zeit arbeiteten. In ein paar Tagen würden die Tierkadaver hochkommen und die Seuchengefahr sehr zunehmen. Es wird überlegt, ob man aus Hubschraubern heraus große Flächen desinfizieren kann. Ein weiteres Problem sind die vielen Erdrutsche, die alles unter sich begraben. Auch diese Gefahr ist nicht gebannt.

Liebe Freundinnen und Freunde, die Menschen hier brauchen unsere Unterstützung. Unser Bremer Verein Brücke der Hoffnung hat diese Woche eine Aktion gestartet. Auch kleine Beträge helfen. Wir bitten um Spenden auf das Konto von

Brücke der Hoffnung e.V.

Sparkasse Bremen

IBAN: DE82290501010001186618

Kennwort: Flut 

Ihre und Eure

Mareiluise Beck

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