Mord an zwei Regimegegnern erschüttert Moskau
Marieluise Beck im Weser-Kurier
Von Doris Heimann MOSKAU. Der Schnee fällt in dicken Flocken, doch die Spuren des Verbrechens kann er nicht verdecken. Vor dem weißgetünchten Kaufmannshaus in der Pretschistenka-Straße 1 ist auch am Morgen danach noch ein riesiger Blutfleck zu sehen. Hier starb durch die Kugeln eines Killers der russische Menschenrechts-Anwalt Stanislaw Markelow - und kurz nach ihm die kreml-kritische Journalistin Anastasija Baburowa.
In Moskau zweifelt niemand an einem politischen Hintergrund der Tat. Feinde hatte Markelow genug. Der für seinen Scharfsinn und Mut bekannte 34-jährige Anwalt vertrat alle, die sich in Russland mit der Macht und ihren Vertretern anlegen: zivile Opfer militärischer Verbrechen in Tschetschenien, Leidtragende von Polizeigewalt, Pazifisten und kritische Journalisten. Auch die Reporterin Anna Politkowskaja, die im Oktober 2006 ermordet wurde, zählte zu Markelows Mandanten. Mit der Zeitung "Nowaja Gazeta", für die Politkowskaja schrieb, arbeitete Stanislaw Markelow eng zusammen. Die Journalistin Baburowa war auch für diese Zeitung tätig.
An dem Ort, wo der bekannte Anwalt starb, stehen am Tag nach der Tat schweigend 300 Menschen. Sie legen Blumen an der Mauer nieder, haben Trauerkerzen und Fotos des Opfers dabei. "Dieser Mord wird wahrscheinlich auch nicht aufgeklärt. Viel zu viele Auftragsmorde in Russland werden nicht gründlich genug untersucht, manchmal findet man den Täter, aber nie den Auftraggeber", sagt Oleg Orlow, Chef der Menschenrechtsorganisation "Memorial".
Es ist kurz nach 14 Uhr am Montagnachmittag, als Stanislaw Markelow in Begleitung der Journalistin Anastasija Baburowa die Pritschistenka-Straße in Richtung Metrostation "Kropotkinskaja" entlang geht. Eben hat der Anwalt eine Pressekonferenz gegeben, um gegen die vorzeitige Entlassung des russischen Obersten Juri Budanow zu protestieren. Budanow war 2003 zu zehn Jahren Straflager verurteilt worden, weil er das tschetschenische Mädchen Lisa Kungajewa vergewaltigt und ermordet hatte. Markelow vertrat die Familie des Opfers. Auf der Pressekonferenz kündigte er an, er werde Rechtsmittel gegen die vorzeitige Freilassung Budanows einlegen. Der Ex-Oberst war um 15.Januar aus dem Straflager entlassen worden.
Nach Zeugenaussagen lässt sich der Hergang der Tat fast minutiös rekonstruieren. Der Mörder folgte Markelow und Baburowa nach der Pressekonferenz, zog sich eine grüne Strickmaske über den Kopf und schoss dem Anwalt mit einer Pistole mit Schalldämpfer in den Hals und ins Genick. Markelow war sofort tot. Die junge Journalistin Baburowa soll den Täter danach mit mehreren Schritten verfolgt haben. Das war ihr Verhängnis: Ein weiterer Schuss traf auch sie ins Genick. Die 25-jährige starb während einer Notoperation im Krankenhaus.
Markelow wurde in letzter Zeit öfter bedroht. "Such Dir schnell einen bequemen Selbstmord, Du hast eh nicht mehr lange zu leben", stand in einer SMS, die der Anwalt kürzlich einer befreundeten Menschenrechts-Aktivistin zeigte. Wegen der zeitlichen Nähe zur Freilassung des Obersten Budanow spekulierten manche russischen Medien auf einen Zusammenhang mit diesem Fall. Anwaltskollegen von Markelow aber meinen, hier könnte jemand bewusst die falsche Spur gelegt haben. Denn Markelow vertrat beispielsweise auch Michail Beketow, den Chefredakteur einer kritischen Zeitung im Moskauer Vorort Chimki, der mutig Front gegen ein Bauprojekt gemacht hatte. Vor einigen Monaten wurde Beketow von Unbekannten so schwer zusammengeschlagen, dass er bis heute im Koma liegt.
Auch in Deutschland sorgte der Doppelmord für Empörung. "Dieses weitere Verbrechen gegen kritische Stimmen in Russland wirft die Frage auf, welche Untiefen und kriminelle Kräfte in Russland ungehindert agieren können", schreibt die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne). Diese Erfahrung zeige, dass Verbrechen dieser Art nicht aufgeklärt werden. "Solange dieser Zustand anhält, sind politisch motivierter Kriminalität, Willkür und Rechtlosigkeit in Russland Tür und Tor geöffnet."
© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Verdener Nachrichten Seite: 3 Datum: 21.01.2009