Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

BDK-Antrag zu Bosnien und Herzegowina

Gemeinsam mit der EP-Abgeordneten Franziska Brantner erarbeitete Marieluise Beck einen Antrag zu Bosnien und Herzegowina für den grünen Parteitag am 24. und 25. Oktober in Rostock. Anlass ist die Ankündigung der EU, Bosnien und Herzegowina im Gegensatz zu Serbien, Mazedonien und Montenegro zunächst nicht von der Visumspflicht zu befreien. Diese Entscheidung könnte zu einer weiteren Verschärfung der ethnischen Spannungen in Bosnien und Herzegowina führen, weil die kroatsichen Bosnier bereits über einen kroatischen Zweitpass visumsfrei in die EU reisen können. Serbien hat nun gleiches für die serbischen Bosnier angekündigt. Allein die muslimischen Bosnier säßen in der Visumsfalle.

Zudem setzt die EU wieder einmal die Visumsfreiheit als Druckmittel für die Verhandlungen für die Verfassungsreform ein. So wichtig eine Überwindung der Staatsstruktur des Freidensvertrags von Dayton durch eine Verfasungsreform auch ist, darf die Frage der Reisefreiheit dennoch nicht mit ihr verbunden werden. Die Bevölkerung wird so zur Geisel der nationalistischen Blockadepolitik. Die Bosnier brauchen Reisefreiheit jetzt, auch ohne eine schnelle Verfassungsreform.

Lesen Sie hier den Beschluss, den die Bundesdelegiertenkonferenz am 25. Oktober 2009 in Rostock angenommen hat:

Verantwortung der EU gegenüber Bosnien und Herzegowina wahrnehmen

Bündnis 90/Die Grünen sind alarmiert wegen der wachsenden politischen Spannungen in Bosnien und Herzegowina. In den letzten Wochen und Monaten hat sich die Lage deutlich verschlechtert, die Konflikte und politischen Blockaden zwischen den Entitäten haben zugenommen und es gab zunehmend Fälle ethnisch motivierter Gewalt, wie zuletzt beim Fußballspiel in Široki Brijeg, wo ein Mensch erschossen wurde.

Zudem schwindet in der Bevölkerung die Hoffnung, in absehbarer Zeit Teil der europäischen Familie zu werden. Für sie ist nicht erkennbar, wie die aktuelle Verfassungsordnung, die das Land mit dem Vertrag von Dayton 1995 in ethnisch definierte Entitäten geteilt hat, überwunden werden kann. Die Verfassung von Dayton bietet den Entitäten ein faktisches Vetorecht, das vorrangig für eine ethnisch motivierte Blockadepolitik missbraucht wird. Alle  Staatsämter sind mit der Zugehörigkeit zu einer der drei konstitutiven Volker verbunden. Bosnien und Herzegowina braucht jedoch dringend eine moderne EU-konforme Verfassung, um sich erfolgreich um die Aufnahme in die Europäische Union bemühen zu können. 

Die internationale Gemeinschaft, namentlich die EU und USA, haben aufgrund mangelnder Einigkeit und Entschlossenheit in den letzten Jahren versäumt, die Überwindung der Verfassung von Dayton voranzutreiben. Trotzdem wurde in den letzten Jahren vermehrt die Forderung nach dem Abzug des Hohen Repräsentanten (OHR) und der europäischen Truppen der ALTHEA-Mission erhoben. Immer wieder wurden von der internationalen Gemeinschaft unzureichende Umsetzungen der geforderten Reformen akzeptiert, um die für den Abzug notwendigen Fortschritte bei der Schaffung eines funktionsfähigen Gesamtstaats verbuchen zu können. Es steht zu befürchten, dass keine grundlegende und zukunftsfähige Verfassungsreform in Bosnien und Herzegowina gelingt, die internationale Gemeinschaft aber dennoch OHR und ALTHEA auflöst und beendet. Der Abzug der EUFOR zu einem Zeitpunkt, wo erst die Weichen des Landes für die Zukunft gestellt werden, wäre ein falsches Signal, weil es das Gefühl der Unsicherheit bei einem großen Teil der Bevölkerung erhöhen würde.

Bosnien und Herzegowina muss eine tragfähige und zukunftsfähige Verfassung bekommen, die den Kopenhagener Kriterien entspricht und mit der Bosnien und Herzegowina in Kürze einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen kann.

Neben dem blockierten politischen System ist auch die andauernde Reisebeschränkung Grund für die Frustrationen in Bosnien und Herzegowina. Große Teile der Bevölkerung sind aufgrund der Visa-Regelung der EU mitten in Europa isoliert. Diese Isolation führt dazu, dass vor allem die Jugend, der Bildungssektor, aber auch die Wirtschaft kaum Chancen haben, durch Austausch mit anderen engagierten jungen Europäer/Innen sich dem Klammergriff der dominanten nationalistischen Politiker und Parteien im Land zu entwinden.

Deshalb startete die EU im Jahr 2007 einen Prozess zur Visumsliberalisierung, der zunächst zum Abschluss von Visumserleichterungsabkommen mit den Ländern des westlichen Balkans führte. In einem zweiten Schritt wurde allen Ländern der Region Kriterienkataloge für die vollständige Befreiung von der Visumspflicht vorgelegt. Die Erfüllung dieser technischen Kriterien gelang bis zu ihrer Überprüfung im Frühjahr 2009 nicht überall gleich. In Bosnien und Herzegowina führte die Blockadepolitik insbesondere der politisch Verantwortlichen der Republika Srpska zu einem Entwicklungsrückstand.

Der Vorschlag der EU-Kommission vom 15. Juli 2009 sieht deswegen vor, Bosnien und Herzegowina zunächst nicht von der Visumspflicht zu befreien, sondern nur Serbien, Mazedonien und Montenegro. Dieser Vorschlag droht die ethnischen Trennungslinien innerhalb Bosnien und Herzegowina zu verschärfen. Viele bosnische Kroaten besitzen eine doppelte Staatsbürgerschaft für Kroatien und können bereits ohne Visa in die EU reisen, während Serbien zunehmend Pässe an bosnische Serben austeilt, um diesen Gleiches zukünftig zu ermöglichen. Einzig die muslimische Bevölkerung kann nicht auf einen Zweitpass ausweichen. Auf diese Weise macht die EU die muslimische Bevölkerung zur Geisel der Regierung der Republika Srpska. Denn diese blockiert auch weiterhin die dringend notwendigen Reformen des Gesamtstaats und erklärt dies auch öffentlich als ihr Ziel, während die eigene Bevölkerung über Zweitpässe von der Visabefreiung für Serbien profitieren kann.

Dennoch hat Bosnien und Herzegowina seit der Vorlage des Kommissionsvorschlags im Juli 2009 weitere Kriterien erfüllt, die bei einer neuerlichen Beurteilung zur Gewährung der Visumsbefreiung gereichen müssten  Alle fünf Länder des westlichen Balkan müssen zum Zeitpunkt ihrer Inkraftsetzung gleichermaßen an den Kriterien der Visa-Roadmap gemessen werden. Nur so ist ein fairer und transparenter Prozess zu garantieren. Die Visafreiheit darf weder als Anreiz, noch deren Versagung als Androhung im Kontext der Verfassungsverhandlungen eingesetzt werden.

Bündnis 90/Die Grünen fordern die Bundesregierung auf

- im Rahmen des EU-Innenministerrates darauf einzuwirken, dass der Kommissionsvorschlag vom 15. Juli 2009 geändert wird, Bosnien und Herzegowina  ebenfalls auf die Schengen White List gesetzt wird und die Chance bekommt am 1. Januar 2010 Visafreiheit zu erlangen, wenn es die Kriterien der Visa-Roadmap erfüllt,

- gegenüber der schwedischen EU-Präsidentschaft und den europäischen Staats- und Regierungschefs darauf zu achten, dass die Frage der Visafreiheit für Bosnien und Herzegowina strikt von der Frage der Verfassungsreform getrennt bleibt,

- dafür einzutreten, dass an den von EU und USA initiierten Verhandlungen über die neue Verfassung für Bosnien und Herzegowina nicht nur die Vorsitzenden ausgewählter bosnischer Parteien, sondern alle Parteien und insbesondere Vertreter der Zivilgesellschaft und offizielle Vertreter des Gesamtstaates beteiligt sind,

- zu verhindern, dass die Auflösung des Amtes des Hohen Repräsentanten (OHR) und der Abzug der EU-Militärmission vor den Abschluss einer Verfassungsreform gesetzt werden.

AntragstellerInnen:

Franziska Brantner (KV Heidelberg), Marieluise Beck (KV Mitte/Östliche Vorstadt, Bremen), Reinhard Bütikofer (KV Berlin Mitte), Katja Keul (KV Nienburg), Omid Nouripour (KV Frankfurt am Main), Claudia Roth (KV Augsburg),  Manuel Sarrazin (KV Harburg-Stadt), Eva Quistorp (KV Charlottenburg, Berlin), Ralf Fücks (KV Mitte/Östliche Vorstadt, Bremen), Michael Scharfschwerdt (KV Berlin Mitte), Reinhard Weißhuhn (KV Pankow, Berlin), Michael Schmitt (KV Städteregion Aachen),  Ali Mahdjoubi (KV Berlin Charlottenburg), Birte Gäth, (KV Pankow, Berlin), Jochen Aulbach, (KV Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin), Andrej Novak (KV Forchheim), Annalena Baerbock (KV Potsdam), Peter Schwanewilms (KV Hamburg-Altona), Kiki Laaser (KV Bamberg-Stadt), Havva Öztürk (KV Mitte/Östliche Vorstadt, Bremen) und weitere
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Laden Sie sich hier den Beschluss als PDF-Dokument herunter.

Hier finden Sie weitere Informationen zur BDK am 24./25.10.09 in Rostock.

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