Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Weser Kurier: Sieben Jahre allein im Irak

Ehepaar musste vier seiner Kinder in der Heimat zurücklassen / Verzweifelte Odyssee ging am Mittwoch zu Ende

Von Rose Gerdts-Schiffler

BREMEN. Blass sehen sie aus. Sehr blass. Tiefe Augenränder, die langen Haare zurückgebunden, laufen der 17-jährigen Beyjahr unentwegt Tränen übers Gesicht. Ihre Geschwister, der 16-jährige Racan und die 15-jährige Kanar, verkriechen sich in ihre Jacken. Sieben Jahre lang sind sie durch die Hölle gegangen. Und mit ihnen ihre Eltern, die 2001 Hals über Kopf ohne ihre Kinder aus dem Irak fliehen mussten.

Dass die drei Geschwister seit Mittwoch wieder mit ihrer Mutter Jian und ihrem Vater Burhan vereint sind, ist lediglich einer Handvoll engagierter Bremer und Bremerinnen zu verdanken. Darunter auch die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, die wiederholt beim Auswärtigen Amt vorsprach, sowie der Anwalt Albert Timmer.

Jahrelang waren den Kindern von deutscher Seite viele Steine in den Weg gelegt worden. Dreimal schafften sie es dennoch bis in die Deutschen Botschaften nach Syrien und Jordanien. Jede Fahrt durch den Irak glich einer lebensgefährlichen Reise. Bombenterror, Entführungen – die Willkür Bewaffneter. Doch die Botschaften schickten sie immer wieder zurück.

„Wir hatten so viel Angst umsie“, sagt der 51-jährige Burhan Mustafa und rückt mit seinem Stuhl noch ein Stück näher an seine Tochter Kanar. Wie erstarrt sitzt sie da, die 15-Jährige, und knetet ihre Knöchel, bis sie weiß sind.

Das Drama begann mit einem banalen Streit, erzählt der Automechaniker. Ein irakischer Geheimdienstmitarbeiter verlangt im August 2001, dass der Mechaniker sein Auto kostenlos reparieren solle. Als Buhan Mustafa sich weigert und zudem das Bild des damaligen Diktators Saddam Hussein von der Wand nimmt, besiegelt er damit sein Schicksal. Ein Freund der Familie warnt das Paar vor der bevorstehenden Verhaftung. Hals über Kopf fliehen die Eltern. Nur ihren schwerstbehinderten Sohn Kodo Abbas nehmen sie mit. Die vier anderen, den elfjährigen Diako, die beiden Mädchen und den kleinen Racan verteilen sie an Verwandte. Die Vier sollen so schnell wie möglich nachgeholt werden. Versteckt unter Planen werden sie aus dem Irak geschmuggelt. „Hätten wir unseren behinderten Sohn damals zurückgelassen, hätte er keine Chance gehabt“, erzählt Burhan von der furchtbaren Wahl, die er als Vater treffen musste.

Zunächst hat das Ehepaar Glück. Unverletzt erreichen sie mit Kodo Abbas Deutschland. Im März 2002 werden sie als politisch Verfolgte anerkannt. Die Familie lebt in Ostfriesland. Er findet Arbeit. Aber ihr Antrag auf einen Familiennachzug wird negativ beschieden. Die Deutsche Botschaft im Irak könne aufgrund der Kriegswirren keine Anträge entgegennehmen, heißt es.

Im Dezember 2003 fahren die Kinder nach Damaskus (Syrien), um ein Visum in der Deutschen Botschaft zu beantragen. Auch der Vater fliegt dorthin, überzeugt, seine Kinder endlich mitnehmen zu können. Der Antrag wird abgelehnt, die Kinder müssen zurück ins Kriegsgebiet. Im April teilt der deutsche Botschafter in Damaskus mit, dass die Kinder kein Visum erhalten werden, da das Einkommen des Vaters nicht ausreiche. Eine Fehlinformation, denn für anerkannte Flüchtlinge gelten andere Gesetze als mit einem ungesicherten Status, kritisiert ihr Anwalt Albert Timmer.

Im Dezember 2005 hält es der inzwischen 15-jährige Diako nicht mehr aus. Der Junge versteckt sich in einem Lkw, flüchtet aus dem Irak und schlägt sich allein nach Deutschland durch. Im Sommer 2007 sind die Eltern am Ende ihrer Kräfte. Inzwischen sind sie nach Bremen gezogen, ihr neuer Anwalt schaltet unter anderem Refugio, den Verein Ökumenische Ausländerarbeit und Marieluise Beck ein.

Aber es geht nicht weiter. Die Anfragen an die Deutschen Botschaften in Syrien und Jordanien werden nicht oder nur unzureichend beantwortet. Im April 2008 reisen die Kinder erneut aus. Ihr Ziel: Jordanien. Aber sie werden zum zweiten Mal zurückgeschickt. Angeblich fehlen Beglaubigungen. Welche, erfährt ihr Anwalt nicht. Im Juli sind die drei anderen Kinder wieder in Jordanien. Marieluise Beck hatte sich persönlich bei Außenminister Frank-Walter Steinmeier für sie stark gemacht. Die Kinder erhalten ein Einreisevisum für Jordanien. Trotz Spenden müssen sich ihre Eltern verschulden, um die gefährliche Reise zu finanzieren. Diesmal hören sie, ihre Papiere seien gefälscht, ihre wirkliche Identität unklar. Wieder schickt sie die Deutsche Botschaft zurück in ihre zerstörte Heimat.

Eine Speichelprobe bestätigt im Oktober, dass Kanar, Racan und Beyjahr die Kinder des Ehepaares sind. „In der Zeit wechselten unsere Ansprechpartner im Auswärtigen Amt. Endlich gab es eine verbindliche Zusammenarbeit“, sagt Rechtsanwalt Timmer. Über Teheran fliegen die Geschwister nach Frankfurt. Am Mittwochabend landen sie in Bremen. Schwer gezeichnet, äußerlich um Jahre gealtert. Die Odyssee hat ein Ende.

Wer die Familie unterstützen möchte, kann auf folgendes Konto spenden: Ökumenische Ausländerarbeit Bremen, „Familienzusammenführung Mustafa“, Konto: 11830585, Sparkasse Bremen.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 15.11.2008

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