Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Spendenaufruf für die Mütter von Srebrenica

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,

im vergangenen Jahr jährte sich die Katastrophe von Srebrenica zum zehnten Mal. Es gab vor Ort eine große Manifestation, wieder einmal versprach die Internationale Gemeinschaft, dass nun wirklich Mladic und Karadzic gefasst werden müssten und eine Perspektive für Bosnien und Herzegowina entstehen müsse.

In diesem Jahr, am elften Jahrestag des großen Mordens, wird es weniger Aufsehen geben. In diesem Jahr werden etwa 400 schmale grün betuchte Särge durch die Hände gereicht und begraben werden. Es sind die Gebeine derjenigen, die aus der Gruppe der bisher 6.000 Exhuminierten identifiziert werden konnten. Die Identifikation ist ein mühseliger und langwieriger Prozess. Er ist jedoch unerlässlich vor allem für die Angehörigen, denn nur ein letzter Ort der Trauer kann ein wenig Trost geben.Nachdem ich seit November mein Regierungsamt abgegeben habe und seitdem ich Mitglied im Auswärtigen Ausschuss bin, kann ich wieder reisen. Über meine Homepage www.marieluisebeck.de versuche ich, zumindest einen kleinen Einblick über mein Tun und Treiben zu geben. So konnte ich zu Beginn des Monats wieder mit Zeit und Ruhe nach Bosnien fahren. Vieles hat sich verändert – manches ist fast stehen geblieben.Das öffentliche Interesse gilt nicht mehr Bosnien sondern anderen Krisenherden dieser Welt. Ich möchte Ihnen deswegen auf diesem Wege meine Eindrücke weitervermitteln, denn diese Wunde in Europa ist nicht verheilt – ich glaube, das kann und darf sie auch nicht vollständig, zumindest wenn verheilen mit vergessen gleichgesetzt wird.Der erste Abend in Sarajevo war eine große Freude für mich. Die deutsche Botschaft hatte als Gäste in kleiner Runde auch den ehemaligen Bürgermeister Selim Beslagic eingeladen, der wackere Streiter für ein multireligiöses Tuzla durch die ganzen Kriegsjahre hindurch. Mit dabei war auch Mirza Kuslugic, vor zehn Jahren noch ein junger Informatiker an der Universität Tuzla, der zu einer Reihe junger wacher Menschen gehörte, die eine „Task force“ um Beslagic herum gebildet hatten und die Stadt durch den Krieg steuerten. Mirza Kuslugic war für eine Zeit als bosnischer UN Botschafter in New York eingesetzt – nun arbeitet er wieder an der Universität. Es war fast ein kleines Glücksgefühl, diese beiden aufrechten Menschen wieder zu treffen. Der Krieg schaffte mehr Nähe als sonst in politischen Begegnungen üblich.Die Einschätzung der politischen Lage in Bosnien war allerdings eher betrüblich. Der sehr verehrte Christian Schwarz-Schilling, der seit Januar als hoher Repräsentant die internationale Staatengemeinschaft vertritt, will das Land schnell in die Eigenverantwortung führen. Das Mandat läuft im Sommer 2007 aus. Doch schon jetzt scheinen sowohl nationalistische Kräfte als auch das weit verbreitete Interesse an institutionellem Durcheinander, das Korruption ermöglicht, wieder zentrifugale Kräfte in Bewegung zu bringen. Eine eigentlich geplante Verfassungsreform, die wenigstens einige Institutionen der beiden Entitäten vereinheitlicht hätte, fand keine Mehrheit. Das muss alarmieren und setzt die Frage auf die Tagesordnung, ob die Bonn-Powers (eine Kompetenz des Hohen Repräsentanten, in Entscheidungen der Regierung des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina sowie der Republika Srpska und der kroatisch-bosniakischen Föderation einzugreifen) nicht sowohl konsequenter angewandt als auch das Mandat verlängert werden muss.Sarajevo ist eine lebendige und moderne Stadt. An den Krieg erinnern nur noch wenige Betongerippe, die von Artilleriebeschuss und Feuer übrig geblieben sind. Das Hotel Hilton wird nicht mehr nur in der von den Snypern abgewandten Seite bewohnt, der Haupteingang ist wieder offen und es gibt nicht mehr nur Eier in schlechtem Öl zum Frühstück. Die Menschen flanieren, sind modern gekleidet, es gibt Gastronomie und viele Autos. Sicher gibt es aber auch in dieser Stadt viel verborgene Armut und gebliebenes Kriegselend. Es ist aber kaum sichtbar.Gleiches gilt für Lukavac. Dieses alte Kombinatsstädtchen war sicher auch vor dem Krieg noch keine Perle. Aber die Tristesse des Ortes ist nicht nur gewichen, weil der Krieg vorbei ist. Die Fabriken, so altertümlich sie auch sein mögen, arbeiten wieder. Es gibt drei (!) Einkaufszentren in der Stadt mit bunten Fassaden, großem Sortiment und einem Kino. Also auch hier gibt es zumindest für eine namhafte Zahl von Menschen wieder ein Einkommen.Der Bürgermeister der Stadt war zu Zeiten des Krieges Gerichtsreferendar bei der Gemeinde. Seine Frau Fadila hat in den Kriegsjahren immer übersetzt, denn sie war Deutschlehrerin. Nun also sind sie Herr und Frau Bürgermeister.Dann allerdings kam die schwere Strecke der Reise. Es ist ein langer Weg von Lukavac nach Srebrenica. Das ist der Weg, den ein großer Teil der Flüchtlinge aus der Enklave zu Fuß gegangen ist, in der Hoffnung, freies Gebiet zu erreichen und so den Häschern zu entkommen. Denn nicht alle Flüchtlinge, die in der Enklave Srebrenica schon lange festgesessen hatten, hatten dem Schutzversprechen der UNO vertraut. Sie waren nicht nach Potocari zu der holländischen UN Station gegangen. Ihr Misstrauen war richtig, nur waren auch sie auf dem Weg durch die Wälder den Tschetniks schutzlos ausgesetzt und viele viele von ihnen wurden ermordet. Das übrigens erklärt auch, warum bis zum heutigen Tag immer noch Massengräber gefunden werden. Sie sind z.T. weit von Srebrenica entfernt, denn ermordet wurden viele Menschen auf diesem „Todesmarsch“, den es von Srebrenica in Richtung Tuzla gegeben hat.Wir besuchten das ‚Haus des Vertrauens’, eine Einrichtung der AWO, bei deren Entstehen insbesondere Bremerhavener Aktive mitgeholfen haben. Dieses Haus soll der Überwindung der ethnischen oder besser religiösen Fremdheit dienen, der Auflösung der Zuordnung zu Gruppen, die sich früher gar nicht unterschiedlich definierten. Der Blick ist nach vorne gewandt, es wachsen junge Menschen nach und die sollen es besser machen.Schwerer war der Besuch bei den Müttern von Srebrenica. Diese Frauen sind in der Regel die einzig Übriggebliebenen aus den Familien. Sie alle haben mit ansehen müssen, wie ihnen ihre Söhne, Ehemänner und Brüder von der Seite gerissen worden sind. Sie alle haben General Mladic gesehen, wie er Schokolade in die Menge warf, bevor die Männer abgeführt wurden. Sie wissen auch, dass der Holländische Offizier Karremans mit Mladic mit einem Sektglas in der Hand angestoßen hat, nachdem die Tschetniks die UN-Station umstellt hatten.Und – sie alle haben gesehen, dass am Morgen des 11. Juli die Flugzeuge der Nato über Potocari kreisten, angefordert von den verängstigten Holländern, die sich der Situation nicht gewachsen fühlten und gegen die Tschetniks Verstärkung angefordert hatten. Die Flugzeuge kreisten für Stunden und drehten wegen Treibstoffmangels wieder ab. Das Faxgerät mit dem Einsatzbefehl soll nicht funktioniert haben.Für manche dieser Frauen ist das Weiterleben–Müssen die größte Strafe. Was sie derzeit noch hält, ist die Suche nach ihren Angehörigen, der Wunsch, wenigstens den Körper zu finden und ihm einen Ort zu geben. Etwa 6000 Körper sind bisher exhuminiert worden. Weniger als 2.000 bisher identifiziert und bestattet. Das jährliche Bestattungsritual am Tag des Verbrechens wird noch lange weitergehen müssen.Srebrenica ist eine ungeliebte Enklave in der Republic Srpska. Der Bürgermeister ist muslimisch, also ein Bosniake, weil das Wahlrecht der Vertriebenen bestehen geblieben ist. Aber die Republik Srpska will diesen Ort nicht, der an das Verbrechen erinnert. Hier ist fast nichts wieder aufgebaut. Hier gibt es keine bunten Einkaufszentren.Die Frauen, die zurückgekehrt sind, leben oft in den nach wie vor zerstörten Häusern. Die Existenz sichert ein Garten und vielleicht ein wenig Vieh. Das ist wenig aber viel für die, die oft nicht einmal jeden Tag satt werden.Die Zeiten des großen Spendensammelns sind vorbei. Es gibt andere Orte auf der Welt, in der das Elend unsere Unterstützung fordert. Dennoch wünsche ich mir, dass ein kleiner Strom wieder nach Bosnien fließen könnte. Wir fragen uns oft, wie die Mörder, wie die Verbrecher mit ihrer Erinnerung und der Schuld umgehen. Aber es ist nicht nur eine Schuld der serbischen Tschetniks. Die Vereinten Nationen, also die Vertretung der Völkergemeinschaft und damit von unseren Ländern, haben es zugelassen, dass unter ihren Augen Menschen ermordet wurden, denen Schutz versprochen worden war. Ich empfinde diese Ungeheuerlichkeit nach wie vor auch als eine Verpflichtung an uns.Wer mithelfen möchte, diese schreckliche Wunde mitten in Europa zu heilen, sei an das Konto der Brücke der Hoffnung erinnert:

BRÜCKE DER HOFFNUNG
Konto 118 6618
Sparkasse Bremen
BLZ 290 501 01
Verwendungszweck: Mütter von Srebrenica

Und noch eine Bitte: Wir können nur nach dem Schneeballprinzip arbeiten. Ziehen Sie einige Kopien von diesem Brief und geben Sie ihn weiter. Auch nach dem Urlaub! Wir wären unendlich froh, wenn wir zeigen könnten, dass wir in Bremen die Menschen in Bosnien nicht vergessen haben.

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