Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Nordwestradio: Es gibt keinen Schlussstrich unter solch einer Katastrophe.

Nordwestradio, Donnerstag 17. Juli

Die Mütter von Srebrenica haben lange auf ein Urteil warten müssen. Das Zivilgericht von Den Haag hat nun dem niederländischen Staat eine Mitverantwortung für die Deportation von mehr als 300 Muslimen beim Massaker von Srebrenica gegeben. Ein Großteil der Männer war später ermordet worden. Mehrere Hinterbliebene hatten den Staat als Oberbefehlshaber der niederländischen Uno-Blauhelme verklagt. Marieluise Beck ist Sprecherin für Osteuropapolitik und mit ihr spreche ich jetzt über dieses Urteil.

Schönen guten Tag, Frau Beck.

Beck: Guten Tag.

Wie schwer wiegt jetzt dieses Urteil für die Angehörigen der Opfer, die sich zusammen getan haben in der Vereinigung der Mütter von Srebrenica.

Beck: Es geht in dieser ganzen Frage, was in Srebrenica passiert ist, mehr um eine moralische Frage - nämlich haben die Angehörigen das Recht zu sagen, es hätte verhindert werden können, es gibt auch eine Verantwortung für das, was da passiert ist. Das Schwierigste ist, wenn es so scheint, als ob niemand verantwortlich wäre für das, was Sie eben zu Recht als Massaker bezeichnet haben.

Es ist ja schwierig, für die Gerichte zu urteilen, weil es eben heißt, dass ist ein UN-Mandat gewesen, andererseits heißt es, die Niederlande sozusagen als Truppensteller haben eine besondere Verantwortung, weil sie natürlich eine Kontrolle über ihre Soldaten haben. Wie sehen Sie das?

Beck: Die ganze Situation war vollkommen verfahren zu der Zeit. Srebrenica war schon ein Ort, der vollgestopft war mit Flüchtlingen über Monate, mit katastrophalen Verhältnissen. Die UN und der Generalsekretär haben Srebrenica zu einer Schutzzone erklärt. Und dann war keine Regierung bereit, der UN Soldaten zur Verfügung zu stellen, um diese Schutzzone auch wirklich zu schützen. Schließendlich sind es dann die Holländer gewesen, die gesagt haben, gut, dann machen wir es und schicken 600 Soldaten. Die waren von vornherein zu wenig und waren eigentlich auch dann als Mladic wirklich ernst gemacht hat und mit den Tschetniks kam, überfordert und konnten mit der Situation nicht so umgehen, wie man hätte umgehen müssen. Es hat allerdings auch sehr hässliche Bilder gegeben, der Begrüßung  von General Mladic, dem Schlächter durch den holländischen Offizier. Und insofern gibt es sehr viel Bitterkeit.

Muss man sagen,  dass die Vereinten Nationen die Niederlande im Stich gelassen haben, weil es überhaupt nicht möglich war, diese Schutzzone der UN zu verteidigen gegen die Serben?

Beck: Ich würde sagen, dass die Vereinten Nationen im Stich gelassen worden sind von einzelnen Mitgliedstaaten. Es gibt weitere dunkle Kapitel in dem ganzen Srebrenica-Thema - unter anderem die Tatsache, dass die holländischen Soldaten um Luftunterstützung gebeten hatten, dass in Sizilien auch NATO-Flugzeuge aufgestiegen sind. Die haben gekreist über Potocari – über diesen Ort des Dramas - und sind dann aus scheinbar unerfindlichen Gründen abgerufen worden. Heute wissen wir, dass es wohl die Franzosen waren, die interveniert haben, denn die hatten nun wiederum Angst um ihre Blauhelmsoldaten, dass sie von Tschetniks als Geisel gefangen genommen werden könnten und wollten deswegen keinen Einsatz der Flugzeuge.

Ist dieses Urteil jetzt ein Schlussstrich, ein letzter Schritt oder geht es weiter?

Beck: Es gibt keinen Schlussstrich unter so einer Katastrophe und so einem Drama, sondern das eigentlich Wichtige ist die Auseinandersetzung damit, was ist passiert, wie konnte so ein Unrecht geschehen mitten in Europa, unter den Augen der Vereinten Nationen und vor allen Dingen, wie können wir verhindern, dass sich so eine Katastrophe wieder ereignet. Wenn wir uns im Augenblick in der Welt umschauen, bauen sich solche Katastrophen fast überall auf, auch in Europa wieder. Ich sage nur die Ukraine. Also es gibt wirklich für eine vorausschauende Konfliktbewältigungs- und  Befriedungspolitik sehr sehr viele Aufgaben zu lösen.

Ein Zivilgericht in Den Haag hat dem niederländischen Staat eine Mitverantwortung für das Massaker ins Srebrenica gegeben und darüber habe ich gesprochen mit Marieluise Beck, der Sprecherin für Osteuropapolitik. Vielen Dank, Frau Beck.

Ich danke Ihnen.

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