Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

"Politische Differenzen ansprechen": Deutschlandfunk-Interview zum Petersburger Dialog

Sandra Schulz: In St. Petersburg ist jetzt Marieluise Beck am Telefon, Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen für Osteuropapolitik und auch Vorstandsmitglied des Petersburger Dialogs. Guten Morgen!
 
Marieluise Beck: Guten Morgen.
 
Schulz: Jetzt hat die NATO gerade beschlossen, ihre Präsenz im Osten Europas auszubauen, auf dem NATO-Gipfel Ende vergangener Woche. Was wird das vor diesem Hintergrund, dass Russland empört reagiert, was wird das für einen Dialog geben?
 
Beck: Ich glaube, dass das den Dialog nicht beeinflussen wird. Es ist ja immer ein bisschen die Frage, ob man klappert, weil es zum Geschäft gehört oder ob man wirklich diese Entscheidung der NATO als Kampfansage ansieht. Diese NATO-Entscheidung mit so kleinen Zahlen von Soldaten hat einen symbolischen Charakter und das weiß die russische Seite.
 
Schulz: Die Situation ist, unabhängig wie man jetzt diesen Schritt bewertet, ja in den vergangenen Wochen und Monaten so zugespitzt, dass sich die Diskussion alleine ja oft darauf erstreckt, wer angefangen hat mit der Aggression, wer aggressiver ist, wer wen bedroht. Das hat ja auch eine ungemeine verbale Aufrüstung gegeben und selbst die Diskussion über viele Themen, die war schwierig. Wie werden Sie das in St. Petersburg jetzt anpacken?
 
Es gebe Arbeitsgruppen zu vielen Themenbereichen
 
Beck: Man muss verstehen, dass der Petersburger Dialog ja neben diesen großen Treffen und der äußeren Etikette Arbeitsgruppen hat, die zu Themenbereichen gemeinsam diskutieren. Es geht sowohl um Gesundheit, es geht um ökologische Reformen und damit verbundene ökonomische Reformen, es geht um kirchliche Begegnungen, und dort ist nicht überall das Thema, was uns derzeit trennt und trennen muss, weil die europäische Friedensordnung infrage gestellt worden ist. Dort wird entlang der gemeinsamen Schwierigkeiten oder auch Lösungen diskutiert und insofern ist die Vorstellung, alles würde jetzt in einer sehr harten Konfrontation sich hier abspielen, nicht korrekt.
 
Schulz: Das sind wirklich offene Diskussionen, nicht so verbohrt, wie wir sie ja wie gesagt hier in Deutschland auch immer wieder führen?
 
Beck: Die Frage der Offenheit entscheidet sich sehr aufseiten der russischen Teilnehmer und wir müssen wissen, das gilt insbesondere für die aktiven Mitglieder der Bürgergesellschaft aus den Nichtregierungsorganisationen, dass sie selber sehr vorsichtig sein müssen. Sie kennen sehr genau die schwierige Situation, unter der sie sich bewegen, mit repressiven Gesetzen. Ein Teil von ihnen ist bereits zu ausländischen Agenten erklärt worden. Es gibt ein neues Überwachungsgesetz für die Internet-Kommunikation und es gibt die Erklärung von unerwünschten Institutionen. Die russischen Nichtregierungsorganisationen müssen sich ganz vorsichtig zwischen all diesen einschränkenden Gesetzen bewegen und das spürt man natürlich hier. Vor allen Dingen gibt es ein großes "Vorsicht!"-Zeichen in der Debatte für die russische Seite.
 
Schulz: Und was halten Sie dann dem Vorwurf entgegen, das ist eine Alibiveranstaltung, wenn letzten Endes die Beschränkungen und Vorzeichen doch so deutlich spürbar sind?
 
Petersburger Dialog sei einer von vielen Dialogformen mit Russland
 
Beck: Es wäre ja nun etwas größenwahnsinnig zu glauben, man könne mit einer Konferenz sowohl die außenpolitischen Differenzen als auch die innenpolitische, sich immer undemokratischer entwickelnde Politik beiseite pusten. Politik muss langatmiger sein und deswegen wird mit diesem Petersburger Dialog kein gordischer Knoten durchgeschlagen, sondern es ist einer der vielen, vielen Dialogformen, die es entgegen der öffentlichen Warnungen in Deutschland ja trotzdem gibt, also eine der vielen Dialogformen, die es selbstverständlich zwischen der russischen Gesellschaft und der deutschen Gesellschaft zum Beispiel über Städtepartnerschaften, aber auch zwischen der Politik gibt.
 
Schulz: Sehen Sie denn eine Chance, wie diese offensichtlich ja offeneren Diskussionen sich ihren Weg bahnen können auch in die russische Öffentlichkeit?
 
Beck: Die russische Öffentlichkeit wird derzeit ja weitestgehend durch staatsorientierte Medien informiert. Das sind im Wesentlichen die großen Fernsehkanäle. Es gibt zwar noch kleine Zeitungen, aber die sind so gering in ihrer Verbreitung, dass sie zur Meinungsbildung kaum beitragen, sodass die Differenzen, die es hier gibt, und einen Krieg des wir wissen voneinander, dass wir in diesen Punkten nicht übereinstimmen, dass das in die russische Öffentlichkeit nicht so stark hineintransportiert wird, jedenfalls nicht über die zentralen Medien.
 
"Wir wissen voneinander, wie groß die politischen Differenzen sind"
 
Schulz: Jetzt steht an der Spitze der deutschen Vertreter des Petersburger Dialogs im wesentlichen Wirtschaftsleute. Ronald Pofalla ist heute ja Vorstand der Deutschen Bahn. Was sagt das über den Petersburger Dialog?
 
Beck: Herr Pofalla ist hier nicht in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn, sondern als ehemaliger Staatsminister im Kanzleramt in seine Rolle getreten, und er betont immer wieder, dass er es für gar kein Problem sieht - und das macht er auch -, die politischen Differenzen sehr deutlich anzusprechen. Das ist natürlich vor allen Dingen derzeit die außenpolitischen Entwicklungen in Russland, die Annexion der Krim, der nach wie vor anhaltende Krieg im Donbass. Das sollte hier nicht verschwiegen werden. Wir wissen ja voneinander, wie groß die politischen Differenzen in dieser Frage sind.
 
Schulz: Ganz herzlichen Dank an Marieluise Beck heute Morgen in St. Petersburg.
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