Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Offener Brief an Präsident Erdogan

Sehr geehrter Herr Staatspräsident,
 
vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr daran, dass Sie mir vor 12 Jahren einen Preis verliehen haben. Sie überreichten mir diesen türkischen Freundschaftspreis, den „Friendship Award“, auf dem „1st International Care Congress" in Istanbul und sprachen in Ihrer Rede von unseren gemeinsamen Werten, von Demokratie und Menschenrechten. Ich fand damals schon, Sie hätten diesen Preis vielleicht eher einer Bürgerrechtsorganisation oder einer Vertreterin der Zivilgesellschaft verleihen sollen, als mir, einer Politikerin, die sich quasi beruflich für unsere bilateralen Beziehungen einsetzt. 
 
Nun las ich, dass Sie bei einer Rede vor dem Verein für Demokratie und Frauenrechte, KADEM, den deutschen Behörden Nazi-Praktiken vorgeworfen haben. Ich fand das unpassend und geschichtsklitternd. Die deutsche Gesellschaft hat sich intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Auch wenn diese Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen sein kann und weiter fortgeführt werden muss, hat die deutsche Politik wichtige Lehren aus der Geschichte gezogen. Hierzu gehört das Bestehen auf Rechtstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz, ein Prinzip, das viele angeklagte Politiker, Journalisten, Akademiker und Staatsbedienstete in Ihrem Land gerade vermissen und für dessen weitere Abschaffung Sie offensichtlich nun eintreten und werben. Das Eintreten für Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenrechte ist aber mir und vielen Menschen in meinem Land eine historische Verpflichtung. 
 
Aus dieser Verpflichtung heraus verfolge ich mit großer Sorge die Entwicklungen in Ihrem Land, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die massiven Beschneidungen der Rechtsstaatlichkeit und die Bestrebungen zur Ermächtigung Ihres Amtes. 
 
Ich fand Ihre Rede zum Weltfrauentag diese Woche auch deshalb unpassend, weil zeitgleich in anderen Städten Ihres Landes Frauen, die sich für Frauenrechte und Demokratie aussprachen, an ihrem Recht auf Versammlung und Meinungsäußerung gehindert und festgenommen wurden.
 
Deshalb gebe ich hiermit den Preis zurück. Den Bürgerinnen und Bürgern in der Türkei möchte ich gleichzeitig versichern, dass ich mich auch weiterhin für die Freundschaft zwischen den Menschen in unseren Ländern einsetzen werde.
 
Mit freundlichen Grüßen
Marieluise Beck
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