Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede zur Westbalkan-Strategie der EU

Am 8. März 2012 debattierte der Bundestag über einen grünen Antrag zur Schaffung einer neuen Westbalkanstrategie. Hierin fordern die Grünen, wieder eine engagierte Westbalkanpolitik neben die Erweiterungsinstrumente der EU zu setzen. Diese solle das Ziel verfolgen, die Voraussetzungen für einen möglichst zeitnahen Beitritt der Länder der Region zu ermöglichen, ohne die Beitrittskriterien aufzuweichen. Hierfür bedarf es engagierter Initiativen zur Lösung der anhalten Blockaden in den unvollendeten Staaten des Westbalkan.

Lesen Sie hier den Westbalkan-Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Sehen Sie hier die Rede von Marieluise Beck als Video . Lesen Sie hier den Redetext: Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Stinner, ich glaube, wir müssen dafür sorgen, dass die FDP-Fraktion nach den Grünen spricht – wegen größerer Kleinheit –, damit Sie mir endlich antworten können und nicht immer vorwegnehmen, was ich sagen werde. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie dann noch da sind!) Das wird vielleicht so kommen. Warten wir einmal ab. In diesen Tagen vor 20 Jahren sind in Sarajevo Hunderttausende auf die Straße gegangen, weil ein Krieg in der Luft lag, den sie auf keinen Fall wollten. Sie ahnten, dass ein Inferno auf sie zukommen würde. Weil es ihnen nicht gelungen ist, den Militärs und den Paramilitärs in den Arm zu fallen, ist es dann auch tatsächlich so gekommen. Drei Jahre Krieg, Belagerung, Vertreibung und Tod – und eine Weltgemeinschaft, die hilflos und unentschlossen zugeschaut hat. Nicht umsonst fällt das Wort Srebrenica, das erstaunlich schnell in Vergessenheit geraten ist, angesichts der Ratlosigkeit in Bezug auf die dramatischen Ereignisse in Syrien jetzt immer wieder. Wir haben uns damals versprochen: Nie wieder! – Wir sind jetzt nicht in der Situation eines drohenden Waffengangs, aber Europa hat die Verpflichtung und die Aufgabe, den Staaten des zerfallenen Jugoslawiens den Weg in die Europäische Union zu ebnen, und zwar auch aus eigenem Interesse; denn wer die langen historischen Linien kennt – im Jahre 2014 jährt sich das Attentat von Sarajevo zum hundertsten Mal –, der weiß, dass sich Unruhe auf dem Balkan immer auf das restliche Europa ausgewirkt hat. Es ist viel geschafft worden: Slowenien ist ein geachtetes Mitglied der EU, die Republik Kroatien wird ihr beitreten, Montenegro und Serbien haben einen Kandidatenstatus. Aber es bleiben die sogenannten unvollendeten Staaten; sie müssen uns wirklich besorgen. Dazu gehört Mazedonien, dessen innere Verfassung aufgrund der albanischen Minderheit ausgesprochen fragil ist. Das Land hat schon jetzt angekündigt, dass es, sollte es zu Grenzverschiebungen kommen, seinerseits auf Grenzverschiebungen setzen wird. Wir müssen uns also darüber klar sein, dass Grenzverschiebungen – ich spreche über Nordkosovo – dramatische Konsequenzen in anderen Regionen auf dem Balkan nach sich ziehen würden und den Balkan wieder in Flammen setzen könnten. (Josip Juratovic [SPD]: Richtig!) Bosnien und Herzegowina, über das wir hier immer wieder sprechen, ist durch eine vollkommen unzulängliche Verfassung schwer belastet. Kollege Juratovic, Sie sprechen es zu Recht an: Es ist auch durch politische Eliten belastet, die auf Grundlage des Nationalismus ihre Süppchen kochen und auf ihre Weise davon profitieren.  Die Auseinandersetzung um das OHR betrifft die Frage, ob die Attraktivität der Europäischen Union – darauf setzt die Strategie des Auswärtigen Amtes – wirklich so groß ist – Sie selber haben gesagt, dass sie bei vielen Bevölkerungsgruppen anscheinend nicht so groß ist –, dass die EU-Instrumentarien reichen werden, und ob sie stark genug sein werden, um den destruktiven Kräften, die es gerade innerhalb von Bosnien, vor allen Dingen in der Republik Srpska, gibt, Einhalt gebieten zu können. Das ist eine offene Wette, Herr Kollege Stinner. Ich hoffe, Sie haben mit Ihrem Vertrauen in die EU-Instrumentarien recht. Es gibt neue Kräfte, nämlich die antinationalistische Initiative K 143, zu der sich 143 Kommunen in Bosnien zusammengeschlossen haben. Wir betonen in unserem Antrag noch einmal, Herr Kollege Kiesewetter: Immer und immer wieder muss glaubhaft versichert werden, dass wir alle diese Länder in der EU sehen wollen und dass wir alles dafür tun werden, dass der Letzte nicht irgendwann in 20 Jahren kommt, sondern dass tatsächlich alle möglichst zeitnah kommen. Das liegt auch in unserem eigenen Interesse. Schwarze Löcher im Westbalkan können wir nicht gebrauchen. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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