Die Liberalisierung der Visavergabepraxis deutscher Konsulate ist ein Schwerpunkt der Arbeit von Marieluise Beck in der nun zu Ende gehenden 16. Legislaturperiode. Auf ihre Initiative hin verabschiedete der Bundestag zum Beispiel nach monatelangen Verhandlungen mit der großen Koalition am 14. Februar 2008 einen Antrag für eine möglichst unkomplizierte Vergabe von Visa an junge Leute aus Belarus.
Dahinter stand die Idee, dass vor allem der Jugend und damit den künftigen Eliten das Reisen nach Europa vereinfacht werden solle. Deutschland und Europa könnten so einen Beitrag zur Öffnung der unter der autoritären Politik des Präsidenten Lukaschenko leidenden Gesellschaft leisten.
Ein Jahr später wollte Marieluise Beck nun von der Bundesregierung wissen, wie sie diesen Antrag des Bundestags praktisch umgesetzt habe und fragte unter anderem nach Zahlen zu den erteilten, kostenlosen und verweigerten Visa. Über die Zahl der verweigerten Visa hüllte sich die Bundesregierung in Schweigen und begründeten dies mit der Behauptung, die Bekanntgabe dieser Zahlen könne die bilateralen Beziehungen zu den entsprechenden Staaten belasten und außerdem dem Visamissbrauch Vorschub leisten. Ein tatsächliche Kontrolle des Regierungshandeln durch das Parlament ist auf Basis dieser Informationspolitik jedoch gar nicht möglich.
Das Bundesverfassungsgericht gab nun am 1. Juli 2009 einer Klage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen statt, wonach die Bundesregierung mit ihrer spärlichen Informationspolitik bei mehreren Kleinen Anfragen der Fraktion gegen die Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament und somit gegen die Verfassung verstoßen habe. Vor allem die pauschal begründete Geheimhaltungsinteressen der Bundesregierung wurden von den Verfassungsrichtern zurückgewiesen und statt dessen nachvollziehbare Begründungen für die Auskunftsverweigerungen verlangt. Die Abgeordneten müssten in die Lage versetzt werden, die Glaubhaftigkeit der Begründung zu überprüfen, um gegenbenenfalls gegen die Geheimhaltung vorgehen zu können.
Auf Basis dieses Rechtsspruchs fragte Marieluise Beck die Bundesregierung, ob sie ihre Auskunftsverweigerung zur Anzahl abgelehnter Visa für verfassungskonform halte:
Auszug aus der Bundstagsdrucksache 16/14032 :
Frage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass sie bei der Beantwortung meiner Schriftlichen Frage (Bundestagsdrucksache 16/13498 ) mit der Verweigerung der Auskunft über die Zahl abgelehnter Visaanträge unter Verweis auf ihre Antwort auf Frage 1 der Bundestagsdrucksache 16/5546 , die die Geheimhaltung der verlangten Daten mit möglichen „nachteiligen Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zu einzelnen Staaten“ und der Begünstigung von „Versuchen des Visummissbrauchs“ begründet, gemäß Urteilsspruch 2 BvE 5/06 vom 1. Juli 2009 des Bundesverfassungsgerichts gegen die Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag verstößt, wonach die Bundesregierung „den Bundestag in die Lage versetzen [müsse], seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen“ da abgesehen von Fällen evidenter Geheimhaltungsbedürftigkeit „das Parlament nur anhand einer der jeweiligen Problemlage angemessenen ausführlichen Begründung beurteilen und entscheiden [könne], ob es die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder welche weiteren Schritte es unternimmt, sein Auskunftsverlangen ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen“, also die „betroffenen Belange, die zur Versagung von Auskünften geführt haben (…), auf ihre Plausibilität und Nachvollziehbarkeit zu überprüfen“, und also die Bundesregierung mit der Auskunftsverweigerung über die Zahl abgelehnter Visumsanträge eine Kontrolle ihrer Visumspolitik effektiv unmöglich macht, ja mit ihrem Verweis, bei nicht zu befürchtenden nachteiligen Auswirkungen „in begründeten Einzelfällen durch die Übermittlung ausgewählter statistischer Daten“ das Informationsersuchen unterstützen zu wollen (Bundestagsdrucksache 16/5546 ), die Begründungspflicht der Auskunftsverweigerung umkehrt in eine Begründungspflicht des Auskunftsbegehrens und falls nicht, womit begründet die Bundesregierung ihre abweichende Auffassung über die Erfüllung ihrer Auskunftspflicht?
Antwort des Staatssekretärs Dr. Peter Ammon vom 3. September 2009:
Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvE 5/06) vom 1. Juli 2009 wird u.a. festgestellt, der Bundestag müsse „zum einen Abwägungen betroffener Belange, die zur Versagung von Auskünften geführt haben […], auf ihre Plausibilität und Nachvollziehbarkeit überprüfen können“. Zum anderen ist laut diesem Beschluss zu berücksichtigen, „dass der parlamentarische Informationsanspruch zwar auf Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit hin angelegt ist, gegebenenfalls aber Formen der Informationsvermittlung zu suchen und, wie die Antragsgegnerin unter Hinweis auf eine entsprechende Staatspraxis vorgetragen hat, realisierbar sind, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Regierung zu befriedigen.“
Die Bundesregierung hatte in ihrer Antwortauf die Kleine Anfrage der Fraktion „DIE LINKE.“ vom 31. Mai 2007 (Bundestagsdrucksache 16/5546 ) in Frage 1 darauf verwiesen, dass die Gesamtzahlen von abgelehnten Visumanträgen für Staaten, in denen es visumerteilende Auslandsvertretungen gibt, nicht bekannt gibt und dies damit begründet, dass die Bekanntgabe dieser Zahlen und anderer statistischer Einzelheiten in Visumangelegenheiten nachteilige Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zu einzelnen Staaten habe und zudem Versuche des Visummissbrauchs begünstigen würde. Sollten keine nachteiligen Auswirkungen zu befürchten sein, würden Informationsersuchen in begründeten Einzelfällen durch die Übermittlung ausgewählter statistischer Daten unterstützt.
Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung bereit, Ihnen Einsichtnahme in die Daten zu Belarus, Bosnien und Herzegowina und Serbien zu gewähren.
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Lesen Sie hier die vorangegangene Frage zu Zahlen über erteilte Visa in Belarus, Bosnien und Herzegowina und Serbien.