Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Kümmerin und Kämpferin

Ein Porträt von Joerg Helge Wagner, Weserkurier, 31. Dezember 2010

Kümmerin und Kämpferin
Die Bremer Grüne Marieluise Beck macht seit 30 Jahren Politik - und legt sich auch mit der eigenen Partei an
 
Wie hältst Du es mit der Gewalt, mit Krieg und Frieden? Am Anfang ihres politischen Weges, 1980 in Baden-Württemberg, hatte die junge Deutsch- und Geschichtslehrerin Marieluise Beck wohl nicht geahnt, dass genau diese Entscheidung einmal ihre Arbeit prägen würde: jene zwischen unbedingtem Pazifismus und der unbedingten Gültigkeit der Menschenrechte, überall und für alle. Sie entschied sich für die Menschenrechte, auch wenn diese manchmal sogar mit Gewalt verteidigt werden müssen.
Von Joerg Helge Wagner Das hat ihr unter ihren grünen Parteifreunden neue Gegner und beim konservativen politischen Gegner neue Freunde eingebracht. Vor allem seit 2005, seit sie im Auswärtigen Ausschuss sitzt und Sprecherin ihrer Fraktion für Osteuropa-Politik ist. In Momenten der Ratlosigkeit über die Mehrheitsmeinung bei "ihren" Grünen bezeichnet sie sich schon einmal als "politisch heimatlos", aber das ist eher der Galgenhumor einer langgedienten Parlamentarierin als ernst gemeint. Ihr grünes Wurzelwerk reicht viel zu tief.
Seit 1983 sitzt sie für die Öko-Partei im Bundestag; gemeinsam mit Petra Kelly und Otto Schily war sie dort Sprecherin der ersten grünen Fraktion. Unterbrechungen folgten, als sie Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin des hiesigen Landesverbandes war. Zu turbulenten Zeiten, als die Bremer Ampel-Koalition an einem nicht zu überbrückenden Gegensatz scheiterte: ausgerechnet zwischen Becks Ehemann, dem damaligen grünen Umweltsenator Ralf Fücks, und dem liberalen Wirtschaftssenator Klaus Jäger. In der ersten rot-grünen Bundesregierung betrat Beck dann wieder die Berliner Bühne: "Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration" hieß ihr Amt jetzt, das unter der abgewählten Kohl-Regierung noch schlicht unter "Ausländerbeauftragte" firmierte.
"Ich werde randalieren" Eine Frau mit dieser Vita wirft innerparteilicher Gegenwind nicht um - auch, wenn er manchmal Orkanstärke hat. Dafür ist sie auch viel zu sehr Kämpferin: Ob es nun um die Anerkennung ökologisch bestimmter Politik in den Gründungsjahren ging, um die Integration hier lebender Ausländer, um die Hilfe für Flüchtlinge, um die Unterstützung der Zivilgesellschaften in Osteuropa. Ein klares Bekenntnis hat sie nie gescheut: zum Existenzrecht Israels, in den Balkan-Kriegen oder jetzt auch zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Die Frau eckt an, reibt sich zuweilen wund. Allein Aufgeben kommt nicht in Frage.
Mag sein, dass diese Zähigkeit, ja Härte auch soziale Prägung ist. "Wir hatten zu Hause kein einziges Kuscheltier", erzählt sie über ihre ersten Lebensjahre in Bramsche. Dafür hatte sie sechs ältere Geschwister - das schult Durchsetzungsfähigkeit. Die karg-protestantische Kindheit - im Mittelpunkt stand die Kirchenmusik - machte aber nicht unempfindlich, im Gegenteil: Das Mit-Leiden ist ihr nie vergangen. Es zieht sie geradezu in jene Gegenden, in denen sich Unrecht und Elend ballen: in den 90er-Jahren der Balkan, dann der Kaukasus, die zumeist autoritär regierten GUS-Staaten, nun auch noch Afghanistan und Pakistan.
In ihrer Arbeitswut und Kompromisslosigkeit erinnert sie manchmal an ihre frühe Fraktionskollegin Petra Kelly. Dennoch muss man sich wenig Sorgen machen, dass sie wie Kelly daran zerbricht: Sie ist geschützt durch den unbedingten Rückhalt ihrer engagierten Mitarbeiter, vor allem aber in ihrer Familie. Zudem erdet sie eine unverwüstliche Selbst-Ironie: "Düse gerade wieder um den Globus und rette die Welt", mailt sie dann von einer ihrer unzähligen Dienstreisen - allein in der zweiten Jahreshälfte waren es mehr als 20. Natürlich weiß sie, dass sie die Welt nicht retten kann. Aber sie kann wenigstens einige der Unterdrückten, Verfolgten, Geschundenen dem medialen Vergessen entreißen, indem sie deren Sache zu ihrer macht. "Mein Freund Sannikov und Frau haben ein vierjähriges Kind. Es droht ihnen neben langjähriger Haft Sorgerechtentzug. Können Sie sich das vorstellen? Mir ist schwer ums Herz, werde so sehr randalieren, wie es geht" - SMS aus einem Unrechtsstaat, dieses Mal Weißrussland.

Andrej Sannikov war jüngst als Präsidentschaftskandidat der demokratischen Bewegung Europäisches Belarus gegen den autoritären Amtsinhaber Alexander Lukaschenko angetreten. Natürlich "randaliert" eine erfahrene Außenpolitikerin wie Marieluise Beck nicht in Minsk, um verhaftete Oppositionelle freizubekommen. Aber sie fährt hin, macht aufmerksam, zeigt Flagge. Zuweilen hält sie neben ihren Mitarbeitern auch die abgebrühten diplomatischen Profis in den deutschen Botschaften ziemlich auf Trab. Am wenigsten schont sie bei diesen Eine-Frau-Feldzügen jedoch sich selbst und ihre Lieben. Am 2. Weihnachtstag fliegt sie nach Moskau, um am nächsten Tag die Urteilsverkündung im Chodorkowski-Prozess zu beobachten. Der Weiterflug nach Minsk scheitert am Stromausfall auf dem Moskauer Flughafen, also umsteigen auf den Nachtzug. In der weißrussischen Hauptstadt trifft sie ein paar noch nicht verhaftete Demokraten und Menschenrechtler. "Hoffe, dass die Inhaftierten erfahren, dass jemand aus dem Westen gekommen ist", simst sie noch rasch.

Wer ihr atemloses Engagement von Europa bis Asien verfolgt, fragt sich manchmal, ob weniger nicht mehr wäre. Vielleicht fragt sie sich das insgeheim auch, aber sie kann nicht aus ihrer Haut. Sie steckt in der Empathie-Falle, abwimmeln kann sie ebenso wenig wie aufgeben.
Abschied vom Pazifismus In Kundus etwa will sie zivile Opfer und Hinterbliebene des Nato-Luftschlags vom 3. September 2009 treffen, der von einem Bundeswehr-Obersten angeordnet worden war. Sie will wissen, warum die Entschädigung so lange dauert, ob das Versprochene ausreichend und zweckmäßig ist. Sie will erfahren, ob tatsächlich nur fünf der Getöteten Taliban waren. Sie redet mit afghanischen Menschenrechtlern, Bundeswehr-Offizieren, Vertretern des Auswärtigen Amtes und einer afghanischen Mitarbeiterin des Bremer Anwalts Karim Popal, der zahlreiche Opfer vertritt. Eigentlich ein volles Programm, doch dann erfährt sie durch eine afghanische Bundeswehr-Dolmetscherin von einer Frau, die samt Kind ohne Anklage und Hoffnung im Gefängnis von Kundus sitzt. Noch im Feldlager schreibt sie an den Gouverneur und den Polizeichef der Provinz - eine Kümmerin im Krisengebiet.

Es ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch: Genau diese Empfindsamkeit beschleunigte Marieluise Becks Abschied vom Pazifismus. "Noch in den 80er-Jahren habe ich vertreten, mich solle man nie und nimmer mit militärischen Mitteln verteidigen", erinnert sie sich sich und bekennt: "Heute schäme ich mich für solche unbedachten Worte." Die Erfahrung des Holocaust sieht sie, das Präsidiumsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, als pervertiert an, wenn "die Einzigartigkeit der Shoa zu einer Legitimation für Nichthandeln und - schlimmer noch - fürs Wegschauen" wird.
Dieser Punkt war für sie in den Balkan-Kriegen erreicht - wenn auch nach langer Bedenkzeit. Die Kämpfe dauerten schon fast vier Jahre, als im bosnischen Tuzla am 25. Mai 1995 serbische Granaten 70 junge Menschen zerfetzten, die am "Tag der Jugend" einfach nur gemeinsam feiern wollten. Am 30. Juni stimmte die Bremer Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck im Deutschen Bundestag für den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien. Für sie mache es eben "einen wesentlichen Unterschied, ob jemand zur Waffe greift, um andere Völker zu unterjochen, oder ob er darin die letzte Möglichkeit sieht, das Leben Unschuldiger zu retten und Völkermord, ethnische Säuberungen oder Massenvergewaltigungen zu verhindern".
Brücke der Hoffnung Dem Bekenntnis zum militärischen Mittel war langes ziviles Engagement in der Region vorangegangen. Bereits 1992 war der Krieg eskaliert. Im Frühjahr hatte Beck an einer internationalen Frauenkonferenz in Zagreb zum Leid der Zivilbevölkerung teilgenommen. Unmittelbar danach gründete sie gemeinsam mit der Bremer Lehrerin Andrea Frohmader die Aktion "Frauen helfen Frauen". Als im Kriegswinter 1993/94 in den belagerten bosnischen Städten Hungersnot drohte, wurde daraus die "Brücke der Hoffnung". Beck, Frohmader und ihre Mitstreiter sammelten Spenden, organisierten 85 Hilfstransporte mit mehr als 300 Lkw-Ladungen in die Region Tuzla/Lukavac. Man sorgte für die Aufnahme traumatisierter Flüchtlinge in Bremen, errichtete vor Ort Zahnambulanzen, vermittelte Patenschaften für Kriegswaisen, unterstützte die im Krieg beschädigte Poliklinik Lukavac und und und...
Am 8. Oktober 1996 erhielt Marieluise Beck dafür das Bundesverdienstkreuz - das sie natürlich erst einmal ablehnen wollte. Die grünen Vorbehalte gegenüber staatlichen Belobigungen - schließlich war man ja noch in der Opposition - überwand sie jedoch schnell mit ihrem typischen Pragmatismus: Die Ordensverleihung ließ sich ja nutzen, um für die schwierige Situation der Flüchtlinge Aufmerksamkeit und Interesse zu erzeugen. Kurz darauf wurde sie auch Ehrenbürgerin der bosnischen Gemeinde Lukavac.
Das Etikett "Oliv-Grüne", das vor allem von der Linken gerne zugeteilt wird, will nicht an ihr haften. Alles Militärische ist ihr eigentlich völlig fremd. In Konflikten geht es ihr um die Ursachen, die Zwänge, die Opfer, die Täter. Unterschiede zwischen Bataillon und Division, zwischen Oberleutnant und Oberstleutnant, zwischen Reichweiten und Durchschlagskraft lässt sie sich zwar geduldig erklären, aber diese Kategorien bestimmen nicht ihr Denken.
Der düsteren Faszination von Waffen und Uniformen kann sie schon deshalb nicht erliegen, weil es in ihrem Weltbild eine glasklare Hierarchie gibt: Das Militär hat der Zivilgesellschaft zu dienen - und wo es umgekehrt ist, liegt etwas ganz gewaltig im Argen. Dann fährt sie im Zweifelsfall ohne Scheu und Zögern hin, kümmert sich, kämpft - nicht mit Waffen, sondern mit Worten.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Verdener Nachrichten Seite: 4 Datum: 31.12.2010

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