Seit einigen Jahren verfolgt die EU für die Länder des westlichen Balkans eine Visapolitik zu einer schrittweisen Befreitung von der Visapflicht führen soll. Am 1. Januar 2008 traten für sämtlliche Länder der EU, die nicht bereits zum Schengenraum gehören oder von der Visabefreiung profitieren Visaerleichterungsabkommen in Kraft. Diese Abkommen sollten zu einer Reduzierung der Kosten und zu einem einfacheren Verfahren fürhen. Im Laufe des vergangenen Jahres überreichte die EU allen Ländern Fahrpläne, in denen die nötigen Reformschritte als Bedingung für die Befreiung von der Visapflicht aufgezeigt wurden.
Am 15. Juli 2009 schlug die Europäische Kommission nach der Bewertung der Fortschritte im Rahmen der Visa-Fahrpläne vor, Serbien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Montenegro zum 1. Januar 2010 von der Visapflicht zu entbinden. Bosnien und Herzegowina und Albanien wurden mangelnde Fortschritte attestiert. Das Kosovo fällt aus diesem Prozess vollständig heraus, weil es nicht von allen EU-Staaten als souveräner Staat anerkannt ist.
Der Kommissionsvorschlag zur Visabefreiung traf auf massive Kritik, zum einen, weil etwa Serbien noch einige Defizite in der Umsetzung der Reformvorgaben aufweist. Eine Bevozugung gegenüber Bosnien und Herzegowina sei auf dieser Basis nicht zu rechtfertigen. Zum anderen wurde mehrfach die Befürchtung geäußert, die Visapolitik der EU können die Spannungen in der Region verstärken und zu einer Destabilsierung führen. Denn bereits jetzt können die meisten kroatischen Bosnier mit einem kroatischen Zweitpass von der Visabefreiung für Kroatien profitieren. Eine Befreiung für Serbien könnte zu einer vergleichbaren Praxis für die serbischen Bosnier führen. Die muslimischen Bosniaken könnten so zur einzigen größeren Volksgruppe werden, der der visafreie Zugang zur EU verwehrt wird.
Marieluise Beck stellte zu diesem Komplex Schriftliche Fragen an die Bundesregierung. Nach Ansicht der Bundesregierung besteht kein Problem bezüglich der Ausgabe serbischer Pässe an die in Bosnien und Herzegowina lebende serbische Bevölkerung. Da dies den Äußerungen des serbischen Innenministers vom 15. Juli 2009 entgegensteht, stellte Marieluise hierzu noch einmal eine Nachfrage. Lesen Sie hier zunächst die ersten Antworten der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen:
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Beabsichtigt die Bundesregierung dem Vorschlag der EU-Kommission zuzustimmen, nicht Bosnien und Herzegowina, sondern nur Serbien, Montenegro und Mazedonien ab 1. Januar 2010 von der Visapflicht zu entbinden, obwohl Serbien die von der EU genannten Kriterien zur Visabefreiung nach Einschätzung auch der EU-Kommission bisher ebensowenig
vollständig erfüllt wie Bosnien und Herzegowina, und wenn ja, wie begründet sie den Unterschied in der Anlegung dieser selbstgestellten Maßstäbe?
Antwort des Staatssekretärs Dr. Peter Ammon vom 23. Juli 2009:
Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 539/2001, den sie auf der Grundlage der Evaluierung der Fahrpläne zur Visaliberalisierung der Westbalkanstaaten vorgelegt hat, sieht die Aufhebung der Visumpflicht für Kurzaufenthalte von Staatsangehörigen Bosnien und Herzegowinas derzeit noch nicht vor, weil die von Bosnien und Herzegowina erreichten Reformfortschritte dafür bisher nicht ausreichen. Insbesondere bleiben sie nach den Feststellungen der Kommission hinter den Reformfortschritten der Länder zurück, für die die Kommission die Aufhebung der Visumpflicht – z. T. an Bedingungen geknüpft – jetzt vorgeschlagen hat.
Die Bundesregierung tritt – bei der Visaliberalisierung wie im gesamten Prozess der EU-Annäherung der Staaten des westlichen Balkans – für den Grundsatz der Konditionalität und das „Regattaprinzip“ ein, wonach sich das Tempo der Annäherung nach den individuellen Fortschritten jedes einzelnen Landes bei der Umsetzung der vereinbarten Bedingungen bestimmt. Die Länder des westlichen Balkans, die in der ersten Runde der Visaliberalisierung noch nicht dabei sein können, sollten von der Erfüllung dieser Bedingungen nicht entbunden, sondern zur Fortsetzung ihrer Anstrengungen ermutigt und darin mit Rat und Tat unterstützt werden. Eine solche Ermutigung hat die Kommission in ihren Schreiben vom 15. Juli 2009 an die jetzt noch nicht berücksichtigten Staaten auf Anregung der Bundesregierung ausgesprochen. Dies dient nicht nur der Stärkung ihrer Institutionen und Stabilität, sondern ist auch für die Glaubwürdigkeit der von der EU vertretenen Werte, insbesondere der Rechtsstaatlichkeit, unverzichbar.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der nicht nur von der bosnisch und herzegowinischen Regierung, sondern auch von Experten wie dem früheren Hohen Repräsentanten der UN und EU im Land, Dr. Christian Schwarz-Schilling, geteilten Erwartung, dass die einseitige Visabefreiung für Serbien die muslimischen Bürger Bosnien und Herzegowinas als einzig kollektiv Betroffene in diesem Land von der Visabefreiung ausschließt angesichts des Umstands der möglichen und verbreiteten Doppelstaatsbürgerschaft der kroatischen und serbischen Bürger Bosnien und Herzegowinas, die diese so von der Visabefreiung für Kroatien und zukünftig Serbien profitieren lässt?
Antwort des Staatssekretärs Dr. Peter Ammon vom 23. Juli 2009:
Die Visumpflicht knüpft stets an die Staatsangehörigkeit an. Es trifft deshalb zu, dass Bürger Bosnien und Herzegowinas mit serbischer Staatsangehörigkeit zukünftig visumfrei in den Schengenraum einreisen können, ebenso wie dies bereits jetzt solchen mit kroatischer Staatsangehörigkeit möglich ist. Die Visaliberalisierung für Serbien hat dennoch nur begrenzte Tragweite für Bosnien und Herzegowina. Zwischen Bosnien und Herzegowina einerseits und Serbien andererseits ist seit 2003 ein Abkommen über doppelte Staatsangehörigkeit in Kraft, das den Erwerb der serbischen Staatsangehörigkeit für Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina an strenge Kriterien (z. B. mindestens dreijähriger gemeldeter Aufenthalt auf dem Gebiet des Staates, dessen Staatsangehörigkeit erworben werden soll) knüpft. Ferner hat Bosnien und Herzegowina bei Erfüllung der Bedingungen des Visum-Fahrplans die Möglichkeit, schon bald selbst die Visumfreiheit zu erlangen.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wie begründet die Bundesregierung eine Entscheidung für einen vorläufigen Ausschluss Bosnien und Herzegowinas von der Visabefreiung vor dem Hintergrund der bisherigen Politik von Regierung und Parlament der Republika Srpska gegenüber der gesamtstaatlichen Integration Bosnien und Herzegowinas in diesem Zusammenhang sowie deren perspektivische Möglichkeiten nach Einführung der Visabefreiung für Serbien und der damit eintretenden potentiellen Privilegierung von Bürgern der Republika Srpska gegenüber muslimischen Bürgern der Föderation Bosnien und Herzegowina?
Antwort des Staatssekretärs Dr. Peter Ammon vom 23. Juli 2009:
Bosnien und Herzegowina ist von der Visaliberalisierung nicht vorläufig ausgeschlossen, sondern hat die für alle Westbalkanstaaten geltenden Voraussetzungen der Fahrpläne zur Visaliberalisierung derzeit noch nicht erfüllt. Es liegt in der Hand Bosnien und Herzegowinas, diese Voraussetzungen im Interesse seiner Bürger jetzt zu schaffen. Die Verabschiedung von vier wichtigen Gesetzen zur Umsetzung des Visa-Fahrplans durch das Repräsentantenhaus von Bosnien und Herzegowina Anfang Juni 2009 zeigt, dass eine engagierte Reformpolitik grundsätzlich möglich ist. Zur Frage einer potenziellen Privilegierung von Doppelstaaten der Republik Srpska gegenüber muslimischen Bürgern der Föderation Bosnien und Herzegowina wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.
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Hier finden sie die Drucksache 16/13831 , in der die Schriftlichen Fragen veröffentlicht wurden.
Hier finden Sie eine Pressemitteilung von Marieluise Beck zum Kommissionsvorschlag zur Visumsbefreiung für Bürginnen und Bürger der Länder des westlichen Balkans.
Lesen Sie hier die Antwort der Bundesregierung auf die Nachfrage von Marieluise Beck zur Ausgabe serbischer Pässe an die serbsiche Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina. (folgt)