Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Antwort der Bundesregierung zu nationalistischer Rhetorik Milorad Dodiks

Am 27. April 2012 erklärte der Ministerpräsident der bosnischen Entität Republika Srpska, er arbeite auf eine Teilung des Landes hin. Diese Äußerungen stehen in einer Reihe permamenter Drohungen Dodiks zur Abtrennung des mehrheitlich von serbischen Bosniern bewohnten Landesteils. Dodik verletzt mit solchen Drohungen die Souveränität des Landes. Er gefährdet den 1995 erreichten Frieden und vertieft die Gräben zwischen bosnischen Bevölkerungsgruppen. Vor allem für die muslimischen Bosniaken sind die sezessionistischen Äußerungen Dodiks unertäglich, weil die Homogenität der Bevölkerung in der Republika Srpska während des Kriegs durch brutale Vertreibung und Kriegsverbrechen hergestellt wurde. Srebrenica, wo 1995 das wohl großte Massaker an der muslimischen Bevölkerung stattfand, liegt heute in der Repbulika Srpska.

Der Hohe Repräsentan der Vereinten Nationen ist als letzte Autorität zur Auslegung des Friedensvertrags von 1995 mit exekutiven Vollmachten (Bonn Powers) ausgestattet. Er ist auf diese Weise bemächtigt, Amtsträger zu entlassen oder ihre Entscheidungen zu revidieren. Er gilt als Garant für den Erhalt Bosnien und Herzegowinas, sollte Dodik seine Drohungen zur Abspaltung der Republika Srpska wahrmachen. Die angestrebte Schließung des Büros des Hohen Repräsentanten noch in diesem Jahr wird deshalb von vielen Seiten kritisert.

Marieluise Beck fragte die Bundesregierung, wie sie die Äußerungen Dodiks bewertet.

Marieluise Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Ist nach Ansicht der Bundesregierung die territoriale Integrität von Bosnien und Herzegowina auch nach der angestrebten Schließung oder Verlegung des Amts des Hohen Repräsentanten (OHR) gesichert, angesichts der Äußerungen des Premier­ministers der Republika Srpska, Milorad Dodik, auf einer Konferenz am 27. April 2012 in Belgrad, auf der er sagte: „Nichts in Bosnien und Herzegowina ist von Dauer außer der Republika Srpska. Nur sie kann existieren mit ihren unabhängigen staatlichen Finanzen und staatlicher Organisation. Dies kann weder der Gesamt­staat, noch die Föderation Bosnien und Herzegowina und auch einige Kantone nicht. Wir glauben, dass Bosnien und Herzegowina ein nicht dauerhafter Staat ist und dass es zwei Szenarien gibt: dass die Kräfte gewinnen, die das Land zentralisie­ren wollen, oder dass das Land in einem natürlichen Prozess zerfallt. Die Republik« Srpska bereitet sich auf Letzteres vor. Wir wissen, dass das nicht in naher Zukunft passieren wird, aber dass die Konstellation der Verhältnisse und die Weise, auf die der Gesamtstaat gebaut ist, nicht seine Dauerhaftigkeit gewährleisten können. Dies liegt vor allem an den sich dort entfaltenden Prozessen."?

Michael Georg Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt :

Die sezessionistische Rhetorik des Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, schadet dem Versöhnungsprozess im Land und erschwert eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit der verschiedenen staatlichen Ebenen in Bosnien und Herzegowina. Auch das Streben nach der Stärkung der eigenen politischen Stellung und der Position der Republika Srpska innerhalb des staatlichen Gefüges Bosnien und Herzegowinas rechtfertigt eine solche Rhetorik nicht.

Der Erhalt der territorialen Integrität Bosnien und Herzegowinas bleibt nach den Erfah­rungen der Bosnien-Kriege in den 1990er Jahren eine Grundlinie der Bosnien-Politik Deutschlands und der Europäischen Union. Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehung hat dies zuletzt in seinen Schlussfolgerungen vom 5. Dezember 2011 unterstrichen, in denen es heißt: „Der Rat [...] bekennt sich ferner unmissver­ständlich zur territorialen Integrität Bosnien und Herzegowinas als souveränes und ge­eintes Land."

Es ist daher erfreulich, dass die Sicherheitslage in Bosnien und Herzegowina seit vielen Jahren stabil ist. Kräfte der EU-Militäroperation EUFOR ALTHEA und ihrer Vorgän­germissionen mussten noch nie zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes in Bosnien und Herzegowina aktiv eingreifen, da die landeseigenen Sicherheitskräfte stets imstan­de waren, die Sicherheit im Lande selbst zu gewährleisten.

Die europäische Perspektive, die sich auch über die Operation ALTHEA hinaus bereits jetzt in enger und vielfältiger Zusammenarbeit mit der Europäischen Union konkreti­siert, ist aus Sicht der Bundesregierung zentraler Stabilitätsfaktor für das Land und die gesamte Region.

Zum Ziel der Mitgliedschaft Bosnien und Herzegowinas in der Europäischen Union bekennen sich alle politischen Kräfte in Bosnien und Herzegowina. Die Regierung Bosnien und Herzegowinas beabsichtigt, bald einen formellen Antrag auf Mitglied­schaft zu stellen. Die Europäische Union und auch die Bundesregierung haben wieder­holt und unmissverständlich klargestellt, dass die Perspektive des Beitritts zur Europä­ischen Union allein für ein geeintes Bosnien und Herzegowina besteht, nicht aber für einzelne Landesteile.

Um die Beitrittsagenda im Zentrum des politischen Prozesses in Bosnien und Herze­gowina zu verankern, hat die Europäische Union begonnen, ihre Präsenz in Bosnien und Herzegowina zu verstärken. Den neuen, vom Hohen Repräsentanten seit dem 1. September 2011 personell getrennten EU-Sonderbeauftragten hat sie mit umfangrei­chen Kompetenzen - darunter auch Sanktionsmöglichkeiten - ausgestattet. Die gestärkte und zunehmend zentrale Rolle der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina wird in der internationalen Gemeinschaft einhellig begrüßt.

In der internationalen Gemeinschaft wächst außerdem die Erkenntnis, dass die für die Herausforderungen der unmittelbaren Nachkriegszeit konzipierten Instrumente des Hohen Repräsentanten demgegenüber an Wirkung eingebüßt haben.

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