Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Von meinem Besuch in Israel nach dem Krieg

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe und als Präsidiumsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft reiste ich vom 26. bis 29. August nach Israel, um mich über die Lage nach Einstellung der Kampfhandlungen zu informieren. Von Meinen Eindrücken vor Ort möchte ich Ihnen berichten.

Bündnis 90/Die Grünen haben seit vielen Jahren enge Kontakte zur Meretzpartei und zu herausragenden Persönlichkeiten, denen an einem historischen Kompromiss und an einer Aussöhnung mit den Palästinensern gelegen ist. Dazu gehören auch VertreterInnen der Friedensbewegung ‚Peace Now’ und von Projekten, die an einem arabisch-israelischen Brückenschlag arbeiten, wie etwa die ‚Frauen in Schwarz’ oder das Frauenprojekt ‚Al-Tufula’ in Nazareth.

Ziel meiner Reise war es, die Auswirkungen der Angriffe der Hisbollah auf Israel zu sehen und eine Einschätzung darüber zu bekommen, auf welchem Wege nach dem Waffenstillstand neue Schritte zur Beruhigung der Konflikte möglich sein könnten (Claudia Roth, MdB und Joseph Winkler, MdB hatten kurz zuvor eine ähnliche Reise nach Syrien und in den Libanon unternommen).

Weit verbreitet ist die Einschätzung, dass eine vergleichsweise schwache Regierung Olmert in den Krieg mit der Hisbollah hineingeschliddert sei und weder die Art der Kriegsführung noch die strategische Aufstellung der Hisbollah von der Armee wohl reflektiert gewesen seien.

So habe das Militär offensichtlich die Guerillataktik der Hisbollah unterschätzt, die ihre Stellungen seit Jahren gezielt in Wohngebieten, zivilen Häusern oder kleinen Handwerksbetrieben aufgebaut habe. Eine Bekämpfung dieser Raketenabschussbasen aus der Luft habe deswegen immer auch zu zivilen Opfern geführt, die in der öffentlichen Meinung und den Bildern nach Israel ins Unrecht gesetzt hätten. Die Tatsache, dass die Hisbollah seit Jahren Raketenangriffe auf den Norden starte, die Tötung von acht israelischen Soldaten und die Entführung zweier Soldaten habe die israelische Regierung zum Handeln gezwungen. Für die libanesische Zivilbevölkerung wäre ein Eingreifen mit israelischen Bodentruppen eindeutig schonender gewesen. Allerdings habe eine schwache Regierung Olmert das Risiko nicht eingehen können, eine große Gruppe junger israelischer Soldaten über die Grenze zu schicken und deren Tötung in Kauf zu nehmen. So sei es zu dem verheerenden Luftkrieg gekommen.

Der Krieg habe in Israel zu großer Verunsicherung geführt. Heimkehrende junge Reservisten berichteten von großem Durcheinander hinter den Linien und ungeklärtem Auftrag. Israel bleibe nach dem Waffenstillstand mit dem Gefühl zurück, dass sein Militär es vielleicht doch nicht ausreichend schützen könne. Junge Leute fragen sich, ob überhaupt für sie ein Leben in Israel noch gesichert oder die Existenz des Staates wieder in Frage gestellt sei.

Auf diese verunsicherte Grundhaltung könne es innenpolitisch zu einem starken Rechtsruck etwa hin zu Victor Liebermann (der als Haider Israels bezeichnet wurde) und zu Bibi Netanjahu kommen. Mit einer solchen Konstellation sei für viele Jahre ein Kompromisskurs mit den Palästinensern verstellt. Die Tatsache, dass nach dem einseitigen Abzug der Israelis aus dem Südlibanon die Hisbollah unter den Augen von UNO Truppen systematisch habe aufrüsten und Israel angreifen können, mache es all denjenigen schwer, die für den einseitigen Abzug aus den besetzten Gebieten plädierten. Das gelte im Übrigen auch für den Gazastreifen.

Es sei aber auch möglich, dass die Ernüchterung der vergangenen Wochen den innenpolitischen Druck auf Verhandlungslösungen erhöhen würde. Die Kontrolle der besetzten Gebiete sei letztlich eine ständige Belastung für die israelische Politik und das Militär und binde ungeheuere Kräfte. Angesichts der heraufziehenden Bedrohung durch den Iran werde den Bürgern und Bürgerinnen Israels vielleicht klar, dass eine Lösung der palästinensischen Frage unverzichtbar sei, um endlich die Energien freizusetzen, die Israel zur Sicherung der eigenen Existenz brauche.

In diesem Kontext sei die Stationierung einer internationalen Truppe - wenn sie denn tatsächlich Verantwortung übernehme - eine unverzichtbare Entscheidung in Richtung Entspannung. Verhandlungen mit den Palästinensern und später möglicherweise mit den Syrern seien nur möglich, wenn es für Israel einen glaubwürdigen Schutz durch diese Truppen gebe. Das gelte auch für den Libanon, dessen südlicher Landesteil durch die Unterwanderung der Hisbollah der Souveränität der libanesischen Regierung entzogen worden sei. Hinter dieser Aufrüstung der Hisbollah stünden Syrien und der Iran – und eben diese Nachschubwege gelte es zu unterbrechen.

Am entschiedensten wurde die Notwendigkeit einer internationalen Truppe von VertreterInnen der Friedensbewegung ‚Peace Now’ formuliert, aber auch von Abgeordneten der Haddash, einer arabisch-jüdischen Partei von Reformkommunisten, die vor allem arabisch-israelische Bürgerinnen und Bürger vertritt. Ein Erfolg dieser Truppen könne sich langfristig als Blaupause für das Westjordanland und den Gaza anbieten und damit einen Weg in Richtung Zweistaatenlösung ebnen.

Insofern sei die Einsetzung dieser Truppen als ein Schritt auf dem Weg der Suche nach Lösungen zu sehen. Europa müsse im Nahen Osten eine aktivere Rolle spielen und dazu gehöre auch Deutschland.

Die Stationierung der Truppen muss mit der Neueröffnung eines politischen Prozesses verbunden werden. Von Lösungen allerdings sprach niemand, sondern immer von Schritten hin zu einer Lösung. Diese nüchterne Realität nehmen jene ein, die nun seit Jahrzehnten erlebt haben, dass Kompromisse so greifbar nahe schienen und dennoch letztlich die Konfrontation sich durchsetzte.

Fahrt in den Norden - Nazareth und Haifa

Die Stadt Nazareth ist die größte arabisch bewohnte Stadt in Israel. Eine deutliche ökonomische Entwicklung im Norden sowohl auf südlibanesischer als auch auf nordisraelischer Seite hat der Krieg zunichte gemacht.

Während in der internationalen Öffentlichkeit die Flucht der Bevölkerung aus dem Süden Libanons bekannt wurde, ging unter, dass auch der Norden Israels evakuiert werden musste. Die Evakuierung legte die soziale Spaltung der Gesellschaft in Israel offen: Gut situierte Bürger mieteten sich in Tel Aviv ein, während die Armen, das sind i.d.R. Einwanderer und Araber, unter sehr unzureichenden Bedingungen in ihren Häusern ausharren mussten.

Die Verbitterung sowohl bei den arabischen als auch bei den jüdisch-israelischen Bürgerinnen und Bürgern wächst. Während in der arabischen Communitiy verfolgt wird, dass die Radikalisierung angesichts verhärteter Fronten in der Bevölkerung zunimmt, wächst das Gefühl in der israelisch-jüdischen Bevölkerung, dass ein Entgegenkommen nur schutzlos mache und der Aggression Raum gebe.

Der ehemalige Stadtbaudezernent von Haifa Dr. Karpel führte mich entlang des Höhenwegs von Haifa und markierte die Ziele der Hisbollah-Raketen in der Stadt. Die Raketen wurden gezielt auf die Krankenhäuser der Stadt abgefeuert. Sie trafen zwei Krankenhäuser, in denen verletzte Soldaten aus dem Norden behandelt wurden, die Augenabteilung des Naharia Krankenhauses wurde vollständig zerstört und es gab Einschläge an der Rückseite des Zion Spittals. Großer Schaden wurde bei der Zerstörung der Eisenbahnwerkstatt angerichtet, bei der acht Menschen getötet wurden. Da Haifa sowohl eine chemische als auch eine mineralölverarbeitende Industrie hat und  Einschläge in der Nähe dieses Gebietes am Hafen niedergingen,  war die Gefährdung der Stadt sehr groß.

Ich will nicht verhehlen, dass es mir die Kehle zuschnürte, als eben dieser deutsch sprechende Dr. Karpel, ein Vertriebener aus Deutschland, mit großem Nachdruck fragte, wann endlich den Juden auf dieser Welt ein Ort zugestanden werde, auf dem sie ohne Bedrohung in Frieden leben könnten.

So bleibt festzuhalten, dass die offene Vernichtungsdrohung aus dem Iran und die Nichtanerkennung des Existenzrechts Israels von Syrien, Saudi-Arabien und durch Hamas und Hisbollah noch 60 Jahre nach der Shoa weder den Überlebenden noch ihren Nachkommen einen sicheren Hafen lassen.

Zum Schluss noch drei Hinweise: In diesem Krieg des Jahres 2006 wurde der Sohn des israelischen Schriftstellers David Grossmann getötet. Die ergreifende Rede des Vaters zum Tod seines Sohnes finden Sie in „Die Zeit“ vom 24. August 2006. Lesen Sie den Artikel hier

Prof. Dan Jacobson und Prof. Galia Golan von ‚Peace Now’ haben einen kurzen Brief mit ihrer Haltung zum Einsatz der internationalen Truppen im Libanon und zu einer deutschen Beteiligung verfasst. Diesen Text finden Sie hier (PDF)

In Kooperation mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bremen und dem grünen Landesverband hatten wir direkt im Anschluss kurzfristig zu einer Veranstaltung ‚Israel nach dem Frieden’ eingeladen. Da in einer so komplexen politischen Lage Information und Meinungsaustausch wichtig sind, plant der Landesvorstand eine zweite Veranstaltung mit arabischem Focus. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte der Presse oder den Hinweisen auf meiner Homepage.