Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

M. Beck zur Bosnien-Debatte am 16.12.2005

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen!

Auch ich möchte gerne von diesem Platz dem Kollegen Schwarz-Schilling alles Gute und viel Kraft wünschen.

Es gibt kaum jemanden, der wie er dazu berufen ist, dieses Amt für die nächsten Jahre auszufüllen. Er hat mit einer Herzenswärme und mit einer Beharrlichkeit viele Jahre lang, als Europa nicht den Mut hatte, sich den Morden einig entgegenzustellen, für die Intervention in Bosnien gestritten. Er ist wirklich der Richtige, um vielleicht das Land an den Punkt zu führen, an dem es eines solchen Amtes nicht mehr bedarf. 

Hier ist von der Linkspartei schlichtweg in Verkennung der Realitäten in Bosnien so getan worden, als ob auf Militär verzichtet werden könnte. Was es für eine Katastrophe bedeutet hat, dass viel zu lange nicht gesehen worden ist, dass es aus humanitären Gründen notwendig gewesen wäre, Militär einzusetzen, wissen wir alle. Das haben wir erleben müssen, bis dem endlich 1995 nach dem Massaker von Srebrenica durch ein entschiedenes militärisches Eingreifen ein Ende gesetzt worden ist.

Aber all das, was danach entstanden ist, ist fragil geblieben. Wir sollten uns klar machen: Bei den Verhandlungen in Dayton haben die Kriegsverbrecher mit am Tisch gesessen. Entsprechend unzulänglich ist der Vertrag von Dayton geworden.

Wer im Juli dieses Jahres nach Srebrenica zu den Feiern anlässlich des zehnjährigen Gedenktages der Ermordung der Menschen von Podgorica gefahren ist, der konnte, wenn er wollte, zur Kenntnis nehmen, dass der jetzige Polizeipräsident der Republik Srpska namens Andan derjenige ist, der zusammen mit Mladić an diesem 10./11. Juli 1995 in Podgorica einmarschiert ist und dort die Männer und Jungen entführt und ermordet hat.

Das ist auch ein Teil der Realität, wie sie in Bosnien nach wie vor gegeben ist. Ich glaube, auch aus symbolischen Gründen ist eines unendlich wichtig: Solange Mladić und Karadzic noch frei herumlaufen, wird dieses Land fragil bleiben. Denn Wahrheit und Gerechtigkeit sind unabdingbar für ein Land, das zu sich selber finden will.

Wir alle wissen, dass es auch um die Frage einer staatlichen Identität dieses Landes geht, das nach wie vor sehr zerrissen ist. Das Land ist deshalb so zerrissen, weil in Dayton nicht nur die Kriegsverbrecher am Verhandlungstisch
gesessen haben, sondern auch diejenigen, die die nationalistischen Parteien der ethnischen Zuordnung angeführt haben. Damit ist ein Gebilde entstanden, das kaum als Staat bezeichnet werden kann; es ist zweigeteilt und von äußerst unzureichenden Strukturen geprägt. Beispielsweise gibt es 180 Minister. Dieses Gebilde ist in eine Phase hineingeraten, die von einer Parallelität zwischen einem Quasiprotektorat einerseits und einem gewählten Parlament andererseits bestimmt war. Das hat faktisch zu einer Art organisierter Verantwortungslosigkeit geführt.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass der Demokratisierungsprozess in dem Land von innen heraus in Fahrt kommen muss. Das bedeutet, dass das Dayton-Abkommen in den Punkten überwunden werden muss, durch die die Zweiteilung des Landes festgeschrieben wurde. Schließlich ist uns bekannt, dass sich viele Kroaten in Westherzegowina nationalistisch mit Kroatien verbunden fühlen.

Es geht also um die Stärkung des Zentralstaates durch eine Verfassungsgebung. Gleichzeitig geht es um die Stärkung der Gemeinden, damit die Autonomie und das Zusammenwachsen vor Ort weiterhin erfolgreich fortgeführt werden können. An diesem Prozess, innerhalb dessen mit 120 Ortschaften Rücksiedlungsverträge zustande gekommen sind, ist Herr Schwarz-Schilling sehr stark beteiligt gewesen.

Der Prozess des Nation Building wird nur dann erfolgreich sein können, wenn die Menschen in diesem Land eine Perspektive bekommen, die sie lockt. Wie wir alle wissen, stellt die Europäische Union diese Perspektive dar. Gerade weil die internationale Staatengemeinschaft nicht mutig genug gewesen ist, Karadzic und Mladić selbst festzunehmen, möchte ich die EU auffordern, hinsichtlich der Bedingungen, die gestellt werden, nicht weich zu werden. Das Land muss selbst zur Rechtsstaatlichkeit finden.

Die EU muss nicht nur um des Landes willen, sondern auch um ihrer selbst willen auf diesen Bedingungen bestehen. Wir alle wissen, was sich vor zehn Jahren als richtig erwiesen hat: Mit Bosnien stirbt Europa. Heute kann vielleicht im Umkehrschluss festgestellt werden: Mit Bosnien kann Europa den nächsten Schritt in die Zukunft gehen.

Schönen Dank.

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