Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zum Bundeswehreinsatz in Bosnien und Herzegowina

Am 2. Dezember 2010 debattierte der Deutsche Bundestag 15 Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton über die zwölfmonatige Verlängerung des Bundeswehrmandats für den Einatz in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der EU-Mission ALTHEA. Die grünen brachten zur Debatte einen Entschließungsantrag ein, der eine Initiative für die dringend notwendige Verfassungsreform in Bosnien und Herzegowina sowie die Beibehaltung der Friedenstruppe bis zur Schaffung eines lebensfähigen Staats fordert. Ein Link zum Antrag finden Sie am Ende dieses Textes.

In der Debatte wurde deutlich, dass die FDP fest entschlossen ist, den Abzug der Bundeswehr im kommenden Jahr bis auf eine kleine Ausbildungsmission durchzuführen. Das innenpolitische Signal, Auslandseinsätze auch zum Abschluss zu bringen, scheint wichtiger, als eine realistische Einschätzung der fragilen Lage in Bosnien und Herzegowina. Die CDU wiederum nutzte die Debatte, um entsprechend der neuen Parteilinie mit harten Bandagen gegen die Grünen zu polemisieren. Dabei wird sie weder der schwierigen politischen Lage in Bosnien und Herzegowina noch den historischen Fakten gerecht. Entsprechend ging Marieluise Beck auf Argumente der Koalitionsfraktionen ein.

Sehen Sie hier die Rede als Video .

Lesen Sie hier den Redetext:

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal möchte man sagen: Denn sie wissen nicht, was sie tun – oder sprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Inge Höger [DIE LINKE]: Hauptsache, Sie wissen, was Sie tun!)

Ich habe einen Reisevorschlag für Sie, Frau Höger: Fahren Sie doch einfach einmal nach Bosnien. Sprechen Sie mit den Menschen, und fragen Sie sie einmal, wie ihr Blick auf diesen Einsatz ist.

(Inge Höger [DIE LINKE]: Wir sprechen auch mit den Menschen!)

Bevor man den Vorgaben der CDU-Parteizentrale folgt – jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Beyer – sollte man einmal in der Geschichte zurückschauen:

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Das kann ich Ihnen alles zeigen! Hier!)

Es war in den Jahren 1990 bis 1994 die kleine Gruppe der Bürgerrechtler, die hier als Ost-Grüne die Grünen- Fraktion vertreten haben – wir waren ja auf die Reservebank getreten – und die ganz früh und durchaus nicht unbedingt zum Gefallen von uns allen in der grünen Partei Position für Bosnien bezogen haben. Damals wurde in den Debatten die Situation auf dem Balkan verdrängt – das geht an Sie, Herr Stinner; denn Sie waren damals mit der CDU an der Regierung – und immer und immer wieder ein friedenserhaltendes Mandat beschlossen. In Bosnien gab es aber keinen Frieden mehr zu erhalten, sondern dort tobte der offene Krieg, und 100 000 Menschen fielen der Verdrängung und dem Selbstbetrug, den diese Regierung mitgemacht hat, zum Opfer. Hier kommen Sie nicht so einfach davon. Sie sollten sich hüten, in dieser Frage auf dem hohen Ross zu sitzen. Es steht Ihnen einfach nicht zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sie recht hat, hat sie recht!)

Weil es innenpolitisch so stark drängt, dass wir endlich einmal vermelden können: „Jetzt ist ein Mandat vollständig abgeschlossen“, Herr Stinner, sollten wir eine Situation, die durchaus prekär und fragil ist, jedoch nicht schönreden. Der bosnische Präsident Izetbegovic hat dem Friedensimplementierungsrat vor zwei Tagen sehr deutlich gesagt, in welche Situation sein Land mit Dayton versetzt wurde: Bei der Verankerung des Entitätenvetos in der als Übergangsverfassung gedachten Verfassung wurde nämlich noch davon ausgegangen, dass dann, wenn die Waffen schweigen, gemeinsam an einem Staat gebastelt wird. Jetzt stellt sich die Situation aber ganz anderes dar: Die eine Entität ist zu einer serbisch-homogenen Entität geworden, was so nie intendiert war; denn es ist immer von der Rückkehr der Flüchtlinge ausgegangen worden. Diese Annahmen sind aber nicht eingetreten. Nun gibt es eine homogene Republik Srpska und damit ein geteiltes Land, in dem ein Präsident – bisher Ministerpräsident – über ein Entitätenveto immer und immer wieder destruktiv tätig werden kann und den Schlüssel in der Hand hat, zu verhindern, dass es zu einem funktionsfähigen Gesamtstaat kommt. Dafür trägt die westliche Staatengemeinschaft, die mit Herrn Milosevic und mit Herrn Karadzic die Bosnier zu dem Vertrag von Dayton gezwungen hat, die Verantwortung. Wir können uns jetzt nicht vom Acker schleichen, Herr Stinner, nur weil Sie in Ihren Wahlkreisen sagen wollen: Das Mandat ist abgeschlossen, auf dem Balkan ist alles in Ordnung.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Nein, das stimmt nicht! – Zuruf von der LINKEN: Wie lange wollen Sie denn noch da bleiben?)

Solange diese Instabilität besteht, muss in Bosnien eine Feuerwehr vorgehalten werden. Dies gilt, bis es dort endlich – hoffentlich unter tätiger Mitwirkung des deutschen Außenministers und der europäischen Staaten; wobei ich mir nur wünschen kann, dass diese vereint agieren und nicht getrennt, wie es bisher der Fall war – eine Verfassung gibt, die diesen Staat lebensfähig macht und den derzeitigen fragilen Zustand beendet. Wir alle wissen doch, dass es nur einen Funken braucht, damit es wieder zu kleineren Konflikten und Krisen kommt, von denen wir nicht wissen, welche Dynamik sie entwickeln könnten.

Wir müssen also Verantwortung übernehmen, und, wenn man so will, die Polizei muss vor Ort bleiben, bis dieses Land eine Verfassung hat, die das friedliche Leben im Staat für alle gemeinsam möglich macht. Das ist unser Vorschlag.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

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Lesen Sie hier den Entschließungsantrag der Grünen zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Bosnien und Herzegowina.

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Zum besseren Verständnis der Bezüge in der Rede von Marieluise Beck könnten die Reden ihrer Vorredner dienlich sein. Sie finden hier Links zu den Reden von

Rainer Stinner (FDP)

Peter Bayer (CDU/CSU)

Inge Höger (DIE LINKE.)

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