Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Ein Blick von außen: IPS-Stipendiat berichtet aus Bremen

Es gibt bestimmte Momente in unseren Leben, in denen wir - schon während wir sie durchleben - wissen, dass wir sie für eine lange Zeit nicht vergessen werden. Ja, es waren mal wieder unvergessliche und prägende Tage, die ich während meines IPS-Praktikums im Deutschen Bundestag erlebt habe. Diesmal nur mit dem Unterschied, dass sie nicht in Berlin, sondern in Bremen waren. Im Wahlkreis meiner Abgeordneten …

Ich nehme zur Kenntnis, dass in Deutschland immer wieder die Distanz zwischen Politikern und normalen Bürgern beklagt wird. Nun, ich sage nicht, dass es diese Distanz nicht gibt. Sie ist aber, wie so vieles im Leben, relativ. Ich weiß, dass man deutsche Verhältnisse nicht mit denen aus meinem Land vergleichen sollte, aber ich sage nur so viel: So was wie Wahlkreisreisen, in denen man sich mit den Leuten trifft, die es einem überhaupt möglich gemacht haben, Zeit in der Hauptstadt zu verbringen, gibt es bei uns nicht.

Genauso wenig wie die Bereitschaft, sich rund zwei Stunden mit Studierenden zu treffen, um Rede und Antwort zu stehen, und ihnen Einblicke aus der Arbeit des Europarates zu geben, die sie in keinem Buch der Welt finden werden.

Es werden auch keine gemütlichen Abende mit Bürgerinnen und Bürgern organisiert, an denen man sich über die Umwelt und die Zukunft unseres Planeten unterhält. Und leider bezweifle ich, dass für solch eine Veranstaltung in meinem Land überhaupt Interesse bestehen würde.

Bei uns werden Sie niemals einen/eine PolitikerÍn sehen, wie er oder sie in der Straßenbahn fährt. Ein Politiker auf dem Fahrrad wäre wahrscheinlich das Bild des Jahres. Unsere Abgeordneten werden Sie auch nicht im Auto sehen. Nicht weil sie nicht gefahren werden, sondern weil die getönten Fensterscheiben es unmöglich machen zu erkennen, wer in dem großen schwarzen Auto sitzt. Ganz bürgernah halt.

Und dann gab es, zu meinem Glück, noch Günter Grass und die ganze Debatte um den "nicht ganz dichten Dichter". Eine sehr interessante fand auf einer Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Bremen statt. Ich sage Glück, weil ich die Möglichkeit hatte, ein so wichtiges Thema hautnah zu verfolgen. Die Art, wie selbstkritisch die eigene Geschichte und das Versagen bearbeitet wird (und oft eben auch nicht), ist für jemanden, der aus einer Region kommt, wo es große Probleme mit der Aufarbeitung der Geschichte gibt, etwas ganz Besonderes. Es bleibt die Hoffnung, dass es mit der Zeit - auch in meinem Land - eine offene, kritische und objektive Debatte über die Vergangenheit geben wird.

Genau das und noch so vieles mehr habe ich mit Marie in Bremen erlebt. Ja, ganz genau. Nicht Frau Beck, sondern Marie. Dass bei den Grünen geduzt wird, daran musste ich mich auch mal erst gewöhnen …

Adnan Muminović, 24
Bosnien und Herzegowina

Thema: