Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Zum Petersburger Dialog: Kein "weiter so" mit Putin 2.0

Die politische Entwicklung in Russland begleiten wir seit jeher mit großer Aufmerksamkeit. Dabei treten wir für einen kritischen und ehrlichen Dialog über die Modernisierung des Landes ein. Der Schlüssel hierzu liegt aus grüner Sicht in der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Zivilgesellschaft. Ziel ist eine enge Partnerschaft der Europäischen Union mit einem demokratischen und rechtsstaatlichen Russland. Angesichts des rückwärtsgewandten Kurses, den Präsident Putin 2011 eingeschlagen hat, ist jedoch eine grundsätzliche Überprüfung der Zusammenarbeit mit Russland geboten.

So gibt es nicht erst seit dem Prozess gegen „Pussy Riot“ erhebliche rechtsstaatliche Defizite in Russland. Darauf haben wir vor einem Jahr in einer Großen Anfrage hingewiesen. Die Antwort der Bundesregierung bestätigte, dass kaum Fortschritte in der deutsch-russischen Modernisierungszusammenarbeit festzustellen sind. Nach wie vor sind erhebliche Zweifel angebracht, dass russische Gerichte ihre Arbeit frei und unabhängig verrichten. Die Haftbedingungen sind und bleiben katastrophal. Im Nordkaukasus wird auf Gewalt vor allem mit Gegengewalt reagiert und schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Auch haben in Russland investierende Unternehmen, aus dem In- wie aus dem Ausland, tagtäglich mit einem Mangel an Rechts- und Investitionssicherheit zu kämpfen. Reformen zur Behebung einiger dieser Missstände wurden von der russischen Führung wiederholt angekündigt, blieben jedoch aus oder wirkungslos. Insgesamt ist Russland weit davon entfernt, demokratische und rechtsstaatliche Standards zu erfüllen.

Seit 2011 stellt die russische Führung durch ihr Handeln zunehmend das Ziel einer umfassenden Modernisierung des Landes in Frage. Der Ämtertausch zwischen Wladimir Putin und Dmitri Medwedew im September 2011, mit dem Putin seine Rückkehr ins mächtige Präsidentenamt einläutete, und die massive Manipulation der Parlamentswahlen im Dezember desselben Jahres führten zu beispiellosen Protesten der russischen Zivilgesellschaft. Doch anstatt mit der selbstbewusster werdenden Gesellschaft gemeinsam an der Modernisierung des Landes zu arbeiten, setzt Putin auf Repression und Gesetzesverschärfungen. So wurden unter anderem die Strafen für die Teilnahme an nicht staatlich genehmigten Demonstrationen drastisch erhöht. Russische Nicht-Regierungsorganisationen, die aufgrund der politischen Situation in Russland häufig auf finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen sind, müssen sich nunmehr als „ausländische Agenten“ ausweisen und umfangreichen Kontrollen durch die Behörden unterziehen. Die Wiedereinführung der Strafbarkeit von Verleumdung lässt befürchten, dass die Arbeit von kritischen Journalistinnen und Journalisten zukünftig noch stärker behindert werden soll. All diese Maßnahmen zeugen von einem grundlegenden Misstrauen der russischen Führung gegenüber dem pluralistischen Rechtsstaat. Auch wird immer häufiger versucht, durch Festnahmen und politisch motivierte Strafprozesse unbequeme Stimmen zum Schweigen zu bringen. Weitere Gesetzesverschärfungen sind russischen Menschenrechtsorganisationen zufolge bereits in Vorbereitung.

Auf diese Entwicklungen in Putins Russland muss die deutsche und europäische Politik entschieden reagieren. Ein bloßes "weiter so" bei der Modernisierungspartnerschaft ist inakzeptabel. Deswegen fordern wir in einem Antrag zur Debatte um die Große Anfrage eine grundsätzliche Revision der Zusammenarbeit. Die russische Regierung ist kein verlässlicher Partner. Die Bundesregierung wäre deshalb gut beraten, wesentlich deutlicher als bisher zwischen Versprechungen der russischen Führung einerseits und der Realität in Russland andererseits zu unterscheiden. Missstände müssen offen und konsequent angesprochen werden. Kooperationsprojekte zur Herstellung von Rechtsstaatlichkeit sollten ehrlich evaluiert und ggf. ausgesetzt oder abgebrochen werden. Adressat der Unterstützung bei Bemühungen um eine Modernisierung Russlands muss in Zukunft die Zivilgesellschaft sein.

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