Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Europarat: Debatte zu Menschenrechten und zunehmender Gewalt im Nordkaukasus

In der 4. Teilsitzung 2009 debattierte die Parlamentarische Versammlung des Europarats über die Lage der Menschenrechtsverteidiger und zunehmender Gewalt in der Region Nordkaukasus der Russischen Föderation. Unter den Rednern war auch Marieluise Beck. Lesen Sie hier ihren Beitrag zur Debatte vom 30. September 2009:

Sehr geehrter Herr Präsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich war vor zwei Jahren in Begleitung von Ella Panfilowa, die damals noch die Beauftragte des Präsidenten Putin für den Aufbau der Zivilgesellschaft war, und Swetlana Galuschkina, einer Menschrechtsaktivistin aus Moskau, die vor allen Dingen mit tschetschenischen Flüchtlingen arbeitet, in Tschetschenien und Inguschetien.

Ich weiß nicht, ob so eine Reise heute noch möglich wäre. Ich möchte zu den russischen Kollegen sagen, dass wir auch in Beslan waren. Ich war tief erschüttert, das zu sehen. Es gibt Terrorismus in dieser Region, das ist überhaupt keine Frage.

Trotzdem bleibt die Frage, ob man die Verantwortung für die Bedrängnis, in der sich die Menschenrechtsaktivisten befinden, die sich nicht nur im Nordkaukasus, sondern auch in anderen Teilen der russischen Föderation immer stärker bedroht fühlen, tatsächlich überall den Terroristen zuschieben kann. Der russische Staat muss sich doch damit auseinandersetzen, dass kein einziger der Morde aufgeklärt und kein einziger der Täter gefasst worden ist.

Bei so einer Bilanz muss die Russische Föderation und müssen die Verantwortlichen damit rechnen, dass es auf sie zurückfällt und die Frage gestellt wird, ob vielleicht überhaupt kein Interesse an der Aufklärung dieser Morde besteht. Die russischen Menschenrechtler sagen, dass sie das Gefühl haben, die Einschläge rücken näher, und dass es für sie schwieriger wird, zu arbeiten. Das gilt ganz besonders auch für Tschetschenien.

Liebe russische Kollegen, Herr Slutsky, Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass eine Organisation wie Memorial inzwischen die eigenen Mitarbeiter evakuiert hat, weil sie nicht mehr das Gefühl haben, die Sicherheit dieser Menschen dort garantieren zu können.

Wo sind denn da die Sicherheitsorgane der Russischen Föderation, jene Institutionen, die behaupten, ihre allererste und wichtigste Aufgabe sei es, die Menschenrechtler zu schützen, die für den Aufbau von Zivilgesellschaft sorgen? So sehr viele gibt es nicht mehr, die überhaupt noch wagen, in dieser Region als Menschenrechtsaktivisten zu arbeiten.

Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass, wie jeder weiß, Natalia Estemirowa persönlich von Präsident Kadyrow bedroht worden ist. Er persönlich hat ihr gegenüber und gegenüber Memorial Drohungen ausgesprochen.

Das sollte ein Problem der russischen Föderation sein, dass es mit Präsident Kadyrow einen Statthalter gibt, der Menschenrechtsaktivisten, die versuchen, sich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen, bedroht. Das ist doch nicht nur ein Problem des Nordkaukasus mit der separatistischen Bewegung, sondern ein Problem des Kremls.

Das ist die Hauptaufforderung, die von hier an Sie, russische Kollegen, sowie an den Europarat gehen sollte: Alle jene, die hier Mitglieder sind, haben sich der Verpflichtung unterzogen, für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zu kämpfen und nicht zu versuchen, das zuzudecken, was im eigenen Land passiert.

Bisher – und diesen Vorwurf muss ich den russischen Kollegen machen – sieht alles danach aus, dass eher zugedeckt wird - von welcher Seite auch immer die Morde kommen; dass diese Verbrechen eher nicht verfolgt werden, dass es kein Interesse daran und auch keine Initiativen gibt, um die Menschen zu schützen, die in dieser Menschenrechts- und Rechtsstaatsarbeit stehen.

Drehen Sie die Sache doch bitte so herum, dass wir das hier im Europarat sehen und sagen können: „Jawohl, es ist schwer, mit separatistischen Bewegungen umzugehen.“ Wie schwierig die Auseinandersetzung mit dem Islamismus ist, erleben wir ja in Afghanistan auch. Aber setzen Sie doch sichtbare Zeichen, dass alles daran gesetzt wird, diejenigen, die an der Seite von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stehen, mit allen Mitteln zu schützen, und dass jene, die sich dem entgegenstellen, mit allen Mitteln verfolgt werden.

Einer der Prüfsteine ist auch die Unterzeichnung des Protokolls 14, denn Russland weiß, dass es die Arbeit des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes behindert, solange dieses Protokoll nicht endlich in Kraft gesetzt wird.

Bitte setzen Sie sichtbare Zeichen. Wir wollen Russland an der Seite der europäischen Staatengemeinschaft hier im Europarat haben.

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Auf der Internetseite der Parlamentarischen Versammlung des Europarats  finden sie sämtliche Unterlagen zur 4. Teilsitzung 2009.

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