Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Straßburger Urteil im Fall Jukos kein Anlass zum Triumph für russische Regierung

Zum Urteil des EGMR im Fall Jukos erklärt Marieluise Beck, MdB, Sprecherin für Osteuropapolitik:

Am 20. September hat der Europäische Menschenrechtsgerichthof ein Urteil im Fall Jukos gegen die Russische Föderation gesprochen. Der Fall behandelt die Steuer- und Vollstreckungsverfahren, die russische Behörden gegen den einst größten russischen Ölkonzern betrieben hatten und die letztlich zu seiner Zerschlagung führten. Sie bilden eine der Grundlagen für das spätere Vorgehen der russischen Justiz gegen den prominenten Kreml-Gegner Michail Chodorkowski. 

Das Urteil des EGMR ist kein Anlass zum Triumph für die russische Regierung. Die höchste europäische Gerichtsinstanz hat festgestellt, dass in den Steuer- und Vollstreckungsverfahren gegen Jukos tragende Grundsätze des Rechtsstaates verletzt wurden. Das Unternehmen hat kein faires Verfahren erhalten. Es hatte de facto keine Möglichkeit, sich angemessen gegen die Anschuldigungen des russischen Staates zu wehren. Der Gerichtshof befand, dass die Art und Weise, in der russische Behörden Steuer- und Strafzahlungen eingetrieben hatten, unverhältnismäßig war und die Eigentumsrechte des Konzerns verletzte.

Die nachgewiesene Kumulation von Grundrechts- und Verfahrensverstößen ist aus der Sicht eines rechtsstaatlich handelnden Gerichts wie des EGMR noch kein Beweis für politische Willkür. Eine solche Feststellung ist dem Straßburger Gericht nur selten möglich. Sie ist jedoch auch nicht in erster Linie Aufgabe einer juristischen Bewertung, sondern der politischen Analyse jenseits des Gerichtssaales.

Inzwischen hat die Weltöffentlichkeit zwei Strafverfahren gegen Michail Chodorkowski und Platon Lebedew erlebt. Beide waren durch vielfältige Verfahrensverstöße geprägt. Insbesondere der zweite Prozess beruhte auf absurden Strafvorwürfen. Der Bericht der International Bar Association, der in diesen Tagen veröffentlicht wurde, ist eindeutig. Die internationale Juristenvereinigung charakterisiert die Anklage als „lang, chaotisch, fehlerhaft und sich selbst widersprechend“. Die Organisation kommt zur Schlussfolgerung, dass dieses Verfahren nicht fair war.

In der internationalen Öffentlichkeit wird nicht bezweifelt, dass das Vorgehen der russischen Behörden gegen den Jukos-Konzern und sein Management politisch motiviert war und ist. Amnesty International sieht Michail Chodorkowski und Platon Lebedew als Gewissensgefangene an, die freizulassen sind.