Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zu Hinrichtungen in Belarus

Trotz internationaler Proteste richtete das belarussische Regime die zum Tode verurteilten Dmitrij Konowalow und Wladislaw Kowaljow hin. Die beiden vermutlich unschuldigen Männer wurden in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Ihnen wurde das Bombenattentat auf die Minsker Metro von April 2011 zur Last gelegt. Es gab keine Möglichkeit für ein Berufungsverfahren. Das Gnadengesuch lehnte Machthaber Lukaschenko ab.

Die Fraktionen des Deutschen Bundestags vereinbarten für den 22. März 2012 eine Debatte zu den Hinrichtungen in Belarus. Sehen Sie hier das Video der Rede von Marieluise Beck. Lesen Sie hier ihren Redetext:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe noch nie einer Mutter schreiben müssen, deren Sohn in einem vollkommen willkürlichen Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ich würde auch niemals sagen, dass es sich um mutmaßliche Täter oder um mutmaßliche Komplizen handelt. Denn wer das Protokoll zum Hergang des Sprengstoffattentates genau liest – jedem in unserem Ausschuss, auch Ihnen, Herr Liebich, ist es zugänglich –, weiß, dass nicht einmal die belarussische Justiz behauptet hat, Wladislaw Kowaljow habe sich am Tatort befunden, und dass es einen zuverlässigen Zeugen, einen Betroffenen, gegeben hat, der bezeugt hat, dass auch Dmitrij Konowalow nie am Tatort gesehen worden ist. Für mich sind die beiden Justizopfer. Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Vieles spricht sogar dafür, dass sie eher Opfer eines politischen Verbrechens des Lukaschenko-Regimes geworden sind.

Bereits 1999 und 2000 verschwanden in Belarus vier Opponenten aus dem nächsten Umfeld von Alexander Lukaschenko. Wir sollten das wieder in Erinnerung rufen. Der Pourgourides-Bericht des Europarates vom Jahr 2004 geht von der Exekution dieser vier Personen aus. Der Bericht stellt außerdem fest, dass die Spuren dieses Verbrechens bis in die höchsten Staatsebenen führten. Zu dieser Zeit – auch damals schon – hieß der Staatschef Alexander Lukaschenko. Es wäre also nicht das erste Mal, dass in Belarus aus politischen Motiven  gemordet worden ist.

Wie gehen wir nun mit diesem Belarus um? Ich weiß, es mehren sich die zweifelnden Stimmen, was den Erfolg der aktuellen Sanktionspolitik angeht. Tatsache ist, dass eine Sanktionspolitik dann ins Leere zu laufen droht, wenn sie von einem Partner unterlaufen wird. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates forderte im Januar alle Mitgliedstaaten auf, die Sanktionen der EU gegen Belarus mitzutragen. Auch Russland ist Mitglied im Europarat, und zwar freiwillig.

(Marina Schuster [FDP]: So ist es!)

Russland argumentierte gegen diese Sanktionen und sagte, diese würden die Einwirkungsmöglichkeiten auf Lukaschenko verschließen. Belarus sei ein Brudervolk. Diese Argumentation könnte sogar überzeugen, wenn Russland alles unternommen hätte, um die Hinrichtungen zu verhindern. Ein Anruf aus dem Kreml hätte dem belarussischen Machthaber die Erschießungen verwehren können. Doch Russland hat dies nicht getan. Dass der russische Außenminister jetzt, wenige Tage nach der Hinrichtung, öffentlich verkündet, es sei Zeit für ein Moratorium, macht mich einfach fassungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Russland unterläuft die Sanktionen. Es zieht sogar aus der Schwäche Lukaschenkos wirtschaftlichen Nutzen und konnte mit dem Erwerb von Beltransgas sein Pipelinemonopol noch weiter ausbauen.

Morgen werden die EU-Außenminister über die Erweiterung der Sanktionen gegen Belarus beraten. Es ist schon gesagt worden, dass aus dem Zentrum des Lukaschenko-Regimes durchsickert, dass der Diktator einen Deal angeboten hat: Freilassung der politischen Gefangenen, falls keine weiteren Sanktionen erlassen werden. Was bedeutet das? Das Regime erklärt damit selbst, dass es politische Gefangene hat. Außerdem erklärt das Regime, dass es diese Gefangenen als Geiseln hält. Das nennt man gemeinhin Staatsterror.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei  Abgeordneten der FDP)

Das Angebot des Regimes beweist allerdings auch, dass die EU-Sanktionen der Diktatur und dem Diktator offensichtlich wehtun. Auch wenn deutsche Unternehmen von Sanktionen gegen Minsk betroffen wären, muss gelten: Wirtschaftliche Interessen dürfen nicht vor der Moral stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich bin dem Kollegen Pofalla sehr dankbar, dass er zur Eishockey-WM so klar Stellung bezogen hat. Wir haben schon vor einem halben Jahr dem Deutschen Eishockey-Bund geschrieben und ihn gefragt, welcher Sportler, der sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist, neben diesem gnadenlosen Herrscher auf dem Siegertreppchen stehen will. Belarus ist Europa. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Der Internationale Eishockeyverband sollte sich dazu entscheiden, diesem Diktator nicht den Glanz von internationalen Spielen, die immer auch etwas mit Politik zu tun haben, zu organisieren.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

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