Die massive Manipulation der Parlamentswahlen in Belarus, bei denen sich der belarussische Staatschef Lukaschenka eine 100-Prozent-Mehrheit sicherte, und die zunehmenden innenpolitischen Repressionen standen im Mittelpunkt unserer Podiumsdiskussion am 27. September 2012. Nur wenige Tage nach den Parlamentswahlen vom 23. September hatte die grüne Bundestagsfraktion in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Austausch zwei belarussische Wahlbeobachter der NGO-Koalition „Menschenrechtler für freie Wahlen“ in den Bundestag eingeladen, die einem interessierten Publikum ihre Eindrücke vom Verlauf der Wahl schilderten.
In ihrer Begrüßung erinnerte Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik, daran, dass nach wie vor zwölf Angehörige der Opposition vom belarussischen Regime in politischer Gefangenschaft gehalten werden. Vielen von ihnen, wie der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mikalaj Statkewitsch und der Menschenrechtler und Wahlbeobachter Ales Bjaljazki, waren im Anschluss an die Niederschlagung der Proteste gegen die ebenfalls manipulierten Präsidentschaftswahlen 2010 in Schauprozessen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Marieluise Beck, der jüngst die Einreise als Teil einer Wahlbeobachtungsdelegation der OSZE nach Belarus verweigert worden war, nannte darüber hinaus das Verbot kreativer Protestformen wie das öffentliche Beklatschen des Diktators und die Verfolgung von Online-AktivistInnen als Ausdruck der zunehmenden innenpolitischen Repression. Sie wies darauf hin, dass die gezielten EU-Sanktionen gegen das belarussische Regime nur begrenzt Wirkung entfalten könnten, solange die russische Staatsführung diese unterlaufe. So unterstütze Russland das wirtschaftlich angeschlagene System Lukaschenka finanziell und sichere sich dabei den Zugriff auf strategische Ressourcen wie das belarussische Pipeline-Netz. Vor diesem Hintergrund sei es kein Wunder, dass das OSZE-Mitglied Russland als einziges Land und entgegen der Kritik der OSZE am Wahlverlauf die Parlamentswahlen als „frei und offen“ bezeichnete.
Eine zunehmende Abwendung der belarussischen Bevölkerung von Staat und Regime sowie ein wachsendes Potenzial für zivilgesellschaftliche Aktivitäten konstatierte Stefanie Schiffer vom Europäischen Austausch in ihrer Einführung. Sie zitierte jüngste Umfrageergebnisse des vom litauischen Exil aus arbeitenden Meinungsforschungsinstitutes IISEPS. Demnach hatten nur noch 36,8% der Befragten freie und faire Wahlen erwartet (2008: 49,8%). Gleichzeitig fordern viele Befragte, dass die Verantwortlichen für Wahlmanipulationen zur Rechenschaft gezogen werden. Dass immerhin 22,7% der Menschen bereit sind, sich selbst an Wahlbeobachtungen zu beteiligen, sei Stefanie Schiffer zufolge Ausdruck eines verbreiteten Verlangens in der belarussischen Bevölkerung nach Gerechtigkeit und Fairness. Wichtig sei es deshalb, das Instrument der einheimischen Wahlbeobachtung mithilfe der europäischen Strukturen zu fördern und weiter zu professionalisieren.
Wladimir Labkowitsch vom belarussischen Menschenrechtszentrum „Wjasna“ („Frühling“) stellte die Arbeit der „Menschenrechtler für freie Wahlen“ vor und charakterisierte das politische Klima im Vorfeld der Parlamentswahlen als ausgesprochen repressiv. So habe sich die Wahlkommission nahezu ausschließlich aus Staatsangestellten zusammengesetzt. Der Opposition nahestehende Personen seien so gut wie nicht in ihr vertreten gewesen. Viele oppositionelle Kandidatinnen und Kandidaten, darunter auch besonders aussichtsreiche wie Alexander Milenkjewitsch, seien unter dem Vorwand angeblicher Formfehler gar nicht erst zur Wahl zugelassen worden. Darüber hinaus habe sich die Opposition mit einem seit dem Jahr 2000 beispiellos hohen Niveau an staatlicher Zensur konfrontiert gesehen. Wahlwerbung sei teilweise verboten und die Opposition aus den Massenmedien verbannt worden. Abschließend forderte Wladimir Labkowitsch, endlich die Praxis willkürlicher Verhaftungen zu beenden und die politischen Gefangenen freizulassen.
Fotos: Büro Marieluise Beck MdB
Aleh Hulak, Vorsitzender des Belarussischen Helsinki Komitees, wies in seinen Ausführungen auf die zahlreichen Manipulationen während des Wahlvorgangs selbst hin. So seien massenhaft Angestellte aus Staatsbetrieben, Studierende und Soldaten zur Stimmenabgabe genötigt worden. Trotzdem hätten die Untersuchungen der WahlbeobachterInnen ergeben, dass die Wahlbeteiligung in den beobachteten Wahlbezirken durchschnittlich 19 Prozent geringer ausgefallen sei, als von offizieller Seite verlautet. Die belarussischen Behörden hatten eine landesweite Wahlbeteiligung von 74 Prozent verkündet. Tatsächlich sei der Opposition zufolge eine Beteiligung der Hälfte der Wahlberechtigten und damit die Gültigkeit der Wahl fraglich.
Hulak kritisierte, dass die Wahlbeobachterinnen und -beobachter zwar die Wahlbeteiligung hätten überprüfen können, ihnen jedoch die Begleitung der Stimmenauszählung oder eine Kontrolle des Wahlregisters verwehrt worden sei. Die belarussische Staatsanwaltschaft und die Zentrale Wahlkommission müssten den offensichtlichen Verstößen gegen das Wahlgesetz nachgehen, zumal die Wahlbeobachter jederzeit zu einer Aussage bereit wären, so Aleh Hulak. Trotz der Tatsache, dass sich das belarussische Regime zunehmend von Europa abwende, hoffe er, dass sich nach der jüngsten Freilassung zweier politischer Gefangener die positiven Signale verstärken mögen.
Daran, dass auch in Zeiten von scheinbarer Perspektivlosigkeit ein plötzlicher Wandel immer möglich sei, erinnerte Marieluise Beck in ihrem Schlusswort. Wichtig sei es deshalb, die belarussische Gesellschaft weiterhin nach Kräften zu unterstützen. Marieluise Beck erneuerte die Forderung der grünen Bundestagsfraktion nach einer Aufhebung der Visumspflicht für Belarus, um zivilgesellschaftlichen Austausch und Kontakte zu demokratischen Gesellschaften zu fördern.