Zu den Fortschrittsberichten der Europäischen Kommission zu den Ländern des Westbalkans erklären Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik, und Manuel Sarrazin, Sprecher für Europapolitik:
Die Fortschrittsberichte für die Länder des westlichen Balkan offenbaren gefährlichen Stillstand allenthalben. Soziale und ethnische Spannungen wachsen deshalb weiter, mit unkalkulierbaren Risiken für die Zukunft. Ein Laufenlassen kann es erst recht mit Blick auf die Ukraine nicht geben. Ernste Krisen sind abzuwenden, bevor sie eskalieren. Wir brauchen eine entschiedene Westbalkanpolitik, die Spannungen und Blockaden in der Region in Angriff nimmt. Die Annäherung zwischen dem Kosovo und Serbien zeigt, dass mit politischem Gewicht und Ausdauer Fortschritte erreicht werden können. Deutschland ist als Sympathieträger in der Region und als größtes EU-Land in der Pflicht, gemeinsam mit den EU-Partnern die Initiative zu übernehmen.
Eine gefährliche Dauerkrise stellt Bosnien und Herzegowina dar. Die Sozialproteste der vergangenen Monate machten die schweren sozialen Spannungen im Land deutlich. Die ethnische Blockadepolitik zur Besitzstandswahrung der Eliten kann nur durch eine demokratische Reform der ethnisch diskriminierenden Verfassung überwunden werden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat mit seinem Urteil 2009 dem Land einen entsprechenden Auftrag erteilt. Die EU trägt als Mitverfasser der fortbestehenden Nachkriegsordnung Verantwortung für die Krisen Bosnien und Herzegowina. Sie muss nach den Wahlen am Sonntag in einen engagierten Prozess mit dem Land treten, um endlich die demokratischen Grundlagen für verantwortungsvolle Politik zu schaffen.
Serbien hat mit der Annäherung an das Kosovo große Fortschritte erreicht. Beide Seiten sind hierfür schmerzhafte Kompromisse eingegangen. Die getroffenen Vereinbarungen bergen die Chance auf eine dauerhafte Beilegung des Konflikts. Für den EU-Beitritt Serbiens wird langfristig eine völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo notwendig sein. Wir begrüßen die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Serbien Anfang des Jahres. Allerdings bereitet die jüngste Einschränkung der Pressefreiheit durch Attacken auf Regierungskritiker große Sorge. Berichte von OSZE und EU der Lüge zu bezichtigen, lässt demokratisches und Problembewusstsein vermissen. Für einen Beitrittskandidaten sollte selbstverständlich sein, die Grundrechte zu garantieren. Beim Kampf gegen organisierte Kriminalität bleibt es seit Monaten bei Ankündigungen und Showveranstaltungen ohne substantielle Erfolge. Korruptionsverfahren scheinen vorwiegend zur Beseitigung politischer Gegner aus den staatlichen Institutionen genutzt zu werden.
Im Kosovo ist das politische Patt seit den Wahlen eine schwere Belastung für das arme und wirtschaftsschwache Land und für den Dialog mit Serbien. Das Land kann sich den Reformstau nicht leisten. Die EU muss endlich auf die Anerkennung durch alle Mitgliedstaaten drängen um ihrer Unterstützungspolitik für die demokratische Transformation Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft zu verleihen. Die Abschaffung der allein noch für das Kosovo existierenden Visumspflicht und das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen müssen jetzt rasch erreicht werden.
Neun Jahre Warteschleife für die Beitrittsverhandlungen haben in Mazedonien die demokratische Kultur und den gesellschaftlichen Zusammenhalt erodieren lassen. Die griechische Blockade wegen des Namensstreits ist unverhältnismäßig und schädlich für die Entwicklung in der ganzen Region.
Die EU ist als engagierter Vermittler gefragt, um weitere Rückschritte abzuwenden. Ein Wiederaufflammen des ethnischen Konflikts hätte unberechenbare Folgen über das Land hinaus für Albanien, Kosovo, Serbien bis hin zu Bosnien und Herzegowina.
Der friedliche Machtwechsel in Albanien macht Hoffnung auf mehr Vertrauen in die demokratische Kultur. Die Verleihung des Kandidatenstatus war ein positives Signal für den bestrittenen Reformweg, auch wenn häufig die Umsetzung noch abgewartet werden muss. Jetzt ist es an der neuen Regierung, Vertrauen in die politischen Prozesse und für einen fairen Umgang mit der Opposition aufzubauen.
Wir begrüßen die spürbare Entschiedenheit Montenegros für eine rasche EU-Annäherung. Allerdings bleibt das Land bislang Fortschritte bei der Pressefreiheit und im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption schuldig.