Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

25. Mai 2014 - Wir sind Europa

Bürokratie, Intransparenz und Regulierungswut - diese Begriffe sind es, die viele Menschen in Deutschland heute mit Europa und der Europäischen Union verbinden. Dass man in Europa auch ganz anders über die EU denkt, haben die Menschen in der Ukraine uns in den letzten Wochen und Monaten gezeigt.

Die Proteste auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz begannen, nachdem Präsident Janukowitsch entgegen seiner Ankündigung das EU-Assoziierungsabkommen nicht unterzeichnete. Dem war ein massiver Druck aus Moskau vorausgegangen. Das löste zunächst einen studentischen Protest aus. Die jungen Menschen in der Ukraine verbinden Europa mit der Hoffnung auf Fortschritt, Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Als die Kräfte des Innenministers die Studentinnen und Studenten brutal schlugen, kam das Volk hinzu. "Sie schlagen unsere Kinder. Jetzt ist es genug." Damit wurde der Studentenprotest zu einem Volksaufstand gegen Korruption, Willkür und Anmaßung der politischen Klasse. Während wir oft mit Brüssel hadern, steht für viele Ukrainerinnen und Ukrainer die EU für das Versprechen auf eine bessere Zukunft in Frieden, Freiheit und Prosperität.

Unser Europa ist ein historisch einmaliges Friedensprojekt. Mit der Europäischen Einigung konnten Feindschaften und Konflikte überwunden und durch Vertrauen ersetzt werden. Die aktuelle Krise um die Ukraine zeigt, dass die Frage von Krieg und Frieden auch in Europa immer noch nicht der Vergangenheit angehört. Die Idee der europäische Einigung ist unvollständig, solange nicht auch die osteuropäischen Staaten dazu gehören. Wir sollten Gorbatschows Vision vom gemeinsamen Haus Europa ernst nehmen. Denn nur ein geeintes Europa sichert dauerhaft Frieden auch für die kommenden Generationen.

Am 25. Mai haben die Menschen in der Ukraine die Möglichkeit, im Rahmen der Präsidentschaftswahl, einen weiteren Schritt in Richtung EU zu gehen. Am selben Tag sind auch wir Bremerinnen und Bremer aufgerufen, unser Votum zum Thema Europa abzugeben. Je mehr Menschen wählen gehen, um so lauter ist auch unsere Stimme für Europa. Europa ist nicht abstrakt. Europa betrifft uns alle täglich ganz konkret: Wenn wir einkaufen und mit dem Euro bezahlen. Wenn wir im Sommer nach Bulgarien reisen und kein Visum beantragen müssen. Wenn wir mit unseren Kolleginnen aus Spanien in die Mittagspause gehen. Wenn unsere Kinder und Freunde ihr Erasmus-Jahr in Italien planen.

Die Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine haben uns in den letzten Monaten gezeigt, wie bedeutsam Europa ist. Wie Europa begeistern kann. Sie haben gerufen: „Wir wollen nach Europa!“ Unsere Antwort muss lauten: „Wir alle sind Europa!“

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