Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Chodorkowski: Irritierendes Urteil aus Straßburg

Zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Chodorkowski erklärt Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik:   Das vom EGMR nunmehr nach zehn Jahren mit einem lächerlichen Schadensersatz von 10.000 Euro beendete Verfahren muss bei allen, die sich intensiver mit dem "Fall Chodorkowski" befassen, ein schales Gefühl hinterlassen.

Das erste Urteil gegen Chodorkowski liegt zehn Jahre zurück. Zwischenzeitlich ist gegen ihn in der gleichen Sache ein zweites Verfahren eröffnet und mit einer zweiten Verurteilung abgeschlossen. Es beruht auf einer glatten Umkehrung der Vorwürfe, die zu seiner ersten Verurteilung führten.

Russische Vertreter aus dem "Rat zum Aufbau der Zivilgesellschaft", die von Medwedjew beauftragt waren, das zweite Verfahren zu bewerten, kamen zu dem Ergebnis, dass das Verfahren ein Skandal für den russischen Rechtsstaat sei. Sie sind nunmehr massiven Repressionen ausgesetzt.

Außen vor bleibt in der Betrachtung des Straßburger Gerichts auch die Tatsache, dass die Goldgräberstimmung der 90er Jahre in Russland mit seinen rechtsfreien Räumen von vielen Oligarchen genutzt wurden. Verfolgt aber wurde nur der, der sich schließlich gegen den Kreml und Putin persönlich stellte. Es war Chodorkowski, der Rechtsstaatlichkeit und politischen Pluralismus einforderte und die allgemeine Korruption kritisierte. Dagegen blieben alle Oligarchen, die bereit waren, sich dem Kreml politisch zu unterwerfen, unangetastet.  

Das so harmlos klingende Urteil muss irritieren, weil es diese hoch politischen Umstände der Verfahren gegen Chodorkowski ausblendet. Chodorkowski und sein Kollege Lebedev sind nun seit zehn Jahren im Lager, sie haben keinerlei Besuchsmöglichkeit außer durch Anwälte und Familie, ein drittes Verfahren nach der Blaupause Timoschenko ist in Vorbereitung.

Ein EGMR, dessen Urteile oft wegen jahrelanger Verfahren erst gefällt werden, wenn die Situation der Betroffenen schon dramatisch verändert ist, und das den politischen Charakter dieser Verfahren ausblendet, spricht ein problematisches Recht.

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