Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Aktuelle Stunde: Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Russland

Anlässlich der gewaltsamen Übergriffe russischer Sicherheitskräfte auf Demonstranten in Moskau und St. Petersburg am 14. und 15. April 2007 beantragte die Grüne Bundestagsfraktion eine aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag zu Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Russland. Am 26. April kam es zur Debatte. Lesen Sie hier die Rede von Marieluise Beck:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unser Respekt vor dem Tod von Präsident Jelzin gebietet es, noch einmal an ihn zu erinnern. Ich möchte es mit dem Zitat eines sehr klugen Satzes von ihm tun: Liebe Landsleute, ich bitte um Vergebung dafür, dass es mir nicht gelungen ist, die Hoffnungen jener Mitbürger zu erfüllen, die da glaubten, wir könnten mit einem einzigen Sprung aus unserer grauen, erstarrten, totalitären Vergangenheit in eine helle, reiche, zivilisierte Zukunft gelangen.

Ich weiß, dass Präsident Jelzin in der russischen Bevölkerung durchaus mit gemischten Gefühlen bewertet wird. Wir wissen, dass der erste Tschetschenienkrieg in seiner Amtszeit geführt wurde. Dennoch hat er Russland den Weg zu Demokratie und einer Öffnung nach Westen gebahnt, auch wenn es etliche Rückschläge gegeben hat.

Damit bin ich bei seinem Amtsnachfolger Wladimir Putin. Bezeichnend ist sein politisches Selbstverständnis. Auch hier wieder ein Zitat: Je stärker der Staat, desto freier der Einzelne.

(Lachen des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sachverhalt ist bekannt: Das Niederknüppeln der Demonstranten in Moskau und Sankt Petersburg durch die gefürchteten Sondereinheiten der OMON hat den Westen aufgeschreckt. Die Bündnispartner von Kasparow sind nicht alle appetitlich; das wissen wir. Aber das rechtfertigt nicht ein solches brutales Vorgehen. Dabei sind auch viele andere getroffen worden, zum Beispiel Olga Tsepilowa, eine Biologin und stellvertretende Vorsitzende der Partei „Grünes Russland“ in Sankt Petersburg. Sie liegt mit gebrochenem Kiefer und Nasenbein in der Klinik. Auch das Schicksal unserer Presseleute kennen wir.

Die Entwicklung der letzten Monate: die Ermordung von Anna Politkowskaja, der ominöse Tod des Ex-KGBlers Litwinenko, der vorgebliche Selbstmord des Journalisten Iwan Safronow, der für seinen vermeintlichen Selbstmord erst noch in den dritten Stock hinaufgeklettert ist, die geradezu dreist angelegte neue Prozessrunde gegen Michail Chodorkowski, der offensichtlich für den Rest seines Lebens im Gulag verschwinden soll und durch dessen Prozess interessierte Kreise Zugriff auf das restliche Yukos-Vermögen bekommen werden. Der staatliche Konzern Gasprom kauft die Medien auf. Praktischerweise sitzt dessen Aufsichtsratsvorsitzender Medwedjew gleich selbst im Kreml. Selbiges gilt für den Aufsichtsratsvorsitzenden von Rosneft, Herrn Setschin – alles ehemalige KGB-Kollegen von Präsident Putin; sie sitzen im Präsidialamt.

Putin steht für Stabilität. Das macht ihn im Land, aber durchaus auch für den Westen attraktiv. Aber wir müssen klarsehen: Nicht der Einzelne gewinnt Freiheit unter Putin, sondern der Staat wird immer stärker. Demokratische Rechte werden zunehmend abgebaut; Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und auch die Rechtssicherheit nehmen kontinuierlich ab.

Wir sollten uns klarmachen, dass Putin ein Mann des Geheimdienstes ist. Auch wenn er zum 50. Geburtstag der Europäischen Union, zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, in allen großen europäischen Zeitungen einen Artikel hat verbreiten lassen, in dem er seine große Nähe zu den Werten der Europäischen Union bekräftigt hat, sollten wir genauer hinschauen. Unter Putin haben seine alten Genossen des FSB den Kreml zunehmend durchdrungen. Dabei geht es um die Verteilung von Macht und auch um sehr viel Geld. Auch das Vermögen dieses Landes wird untereinander aufgeteilt.

Dazu passt dann, dass Putin – wie jetzt in seiner Rede an die Nation – an eine alte Idee anknüpft, die wir aus Zeiten des Kommunismus kennen. Er fordert nämlich die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands. Das bedeutet aber, dass das Mitglied des Europarates und der OSZE, Russland, sich verbittet, dass über Demokratie in eigener Sache gesprochen wird. Den Gefallen dürfen und können wir Putin nicht tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden uns in diesem Haus noch häufig darüber austauschen müssen, wie wir mit diesem wichtigen Nachbarn, unserem Gegenüber, den wir aus vielerlei Gründen auch brauchen, umgehen wollen und müssen. Eines aber ist klar: Wir brauchen eine klare Sprache, wir brauchen einen geraden Rücken, und wir müssen in Fragen von Menschenrechten und Demokratie konfliktbereit sein. Von manchen ist schon das Schlagwort „Schweigen für Gas und Öl“ genannt worden. Das darf eine Wertegemeinschaft wie die Europäische Union nicht zulassen.

Bei aller notwendigen Auseinandersetzung und dem Streben nach Partnerschaft ist Russland derzeit eher ein Gegenüber, mit dem ein schwieriger Dialog zu führen ist, als ein Partner, der reklamieren könnte, mit unseren Werten wirklich übereinzustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

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