Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Die verschleierte Katastrophe

Seit dem verheerenden Atom-Unglück im russischen Nuklearbetrieb "Majak" sind 50 Jahre vergangen. Erst 1989 wurde die Katastrophe von offizieller Seite eingestanden.

Am 29. September jährt sich die große Atomkatastrophe von „Majak“ im russischen Osjorsk, etwa 100 Kilometer nordwestlich der Ural-Metropole Tscheljabinsk, zum 50. Mal. 1957 explodierte im ersten sowjetischen Nuklearbetrieb ein Betontank mit radioaktivem Müll. 272.000 Menschen wurden verstrahlt. Die 30-50 km breite radioaktive Spur erstreckte sich auf ein Territorium von 300 km. Diese größte Atomkatastrophe vor Tschernobyl ist in der Weltöffentlichkeit immer noch wenig bekannt. Erst 1989 gab die sowjetische Regierung das Atom-Unglück zu. Aber auch heute wird vieles verschwiegen. Man spricht in Russland nicht gerne über die ungelösten Probleme im „Majak“.

Nach offizieller Version waren fehlende Kenntnisse der Wissenschaftler die Ursache für die Katastrophe. Gleich nach der Explosion wurde das Gebiet gemessen und die Spuren der Verschmutzung festgestellt. 13.000 Menschen wurden evakuiert, ihre Häuser verbrannt, das Vieh getötet. Die Einwohner anderer Dörfer, die nicht innerhalb der radioaktiven Spur lagen, lebten weiter auf den verschmutzten Gebieten und wurden zu Räumungsarbeiten eingezogen, darunter auch Kinder. Über den Grund und die Folgen der Explosion wurden sie nicht informiert. Erst in den 90-er Jahren erfuhr die Bevölkerung von der Verstrahlung. Inzwischen ist die Zahl der Krebserkrankungen in nahe gelegenen Dörfern wie Tatarskaja Karabolka und Musakajewo schon fünfmal höher als die Durchschnittsrate in Russland. Nur 1 Prozent der Kinder im Dorf Russkaja Tetscha sind gesund. Es wächst die Zahl der genetischen Abweichungen und Entwicklungsstörungen. Rehabilitierungsprogramme für Opfer der Radioaktivität hat es nicht gegeben.

Aber nicht nur die Spuren der Katastrophe von 1957 haben die hohe radioaktive Verschmutzung des Gebiets verursacht. Auch der laufende Betrieb des „Majak“ trägt dazu bei. Schon dreißig Jahre funktioniert dort das Werk „RT-1“ für die Verarbeitung des verwendeten Kernbrennstoffs. Die während der Produktion entstehenden radioaktiven Abwässer werden unter anderem in Seen aufbewahrt und regelmäßig illegal in den Fluss Tetscha geleitet. Die Radioaktivität in diesem Fluss beträgt zwischen 2 bis 78.000 Mikroröntgen, bei einer Norm von 30 Mikroröntgen. Die Ufer des Flusses, Vieh und Lebensmittel werden vom Wasser verschmutzt.

Auch der technische Zustand des Betriebs erhöht die Risiken für die Umwelt. Wegen der alten Ausrüstung finden regelmäßig neue Unfälle statt. Der letzte geschah im Juni dieses Jahres. Erst nachdem die Presse ein Monat später darüber berichtete hat die Leitung des Betriebs den Unfall zugegeben. 2003 hat die staatliche Überwachungszentrale für radioaktive Sicherheit versucht, „Majak“ die Lizenz zu entziehen. Dies führte zur Entlassung der Leitung, aber nicht zur Schließung des Betriebs.

In einem offenen Brief an den Präsidenten warnt der Physiker und Abgeordnete des Stadtrates von Sneschinsk, German Lukaschin, der Betrieb sei heute der gefährlichste seiner Art in der Welt. Die Gefahr im Fall einer möglichen Katastrophe drohe nicht Russland alleine, sondern der ganzen nördlichen Hemisphäre.

Doch der Import von verwendeten Nuklearbrennstoffen zur Verarbeitung im „Majak“ geht weiter. Unter den Exporteuren sind Ungarn, Tschechien und die Slowakei.

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