Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

"Mit Freiheit hatte die Wahl nichts zu tun"

Marieluise Beck berichtet in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger von ihren Eindrücken aus Russland.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Frau Beck, Sie haben sich am vergangenen Wochenende in Russland aufgehalten, mit Nichtregierungsorganisationen gesprochen und die Duma-Wahlen aus nächster Nähe verfolgen können. Wie frei und fair waren die Wahlen?

MARIELUISE BECK: Die Duma-Wahlen sind leider weder frei noch fair gewesen. Fair schon deswegen nicht, weil so wenige Parteien überhaupt zugelassen waren und die Medien sehr einseitig berichtet haben. Die Zentrale Wahlkommission wurde personell ausgetauscht und bestand zuletzt fast nur noch aus Mitgliedern der Kreml-Partei „Einiges Russland“. Außerdem wurde Wahlkampf-Material oppositioneller Parteien beschlagnahmt und am Wahltag massiv Druck auf die Wähler ausgeübt, für „Einiges Russland“ zu stimmen. Mit Freiheit hatte das nichts zu tun.

Konkret: Wie wurde manipuliert und eingeschüchtert?

BECK: Es gab eine Reihe von ausgefeilten Repressionsmitteln, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen und zugleich sicherzustellen, dass möglichst für „Einiges Russland“ gestimmt wurde. Man berichtete mir zum Beispiel von angedrohtem Essensentzug im Altersheim, damit die Bewohner auch ja wählen gehen. Vielfach wurde die Wahl vom Wahllokal in Universitäten oder Betriebe verlegt, damit die Studenten oder die Angestellten unter direkter Kontrolle ihrer Vorgesetzten die Stimme abgaben. Mir sind sogar Fälle berichtet worden, in denen Mitarbeiter von ihren Betrieben angewiesen wurden, in der Wahlkabine den Wahlzettel mit ihrem Handy zu fotografieren, um zu belegen, dass sie tatsächlich für „Einiges Russland“ gestimmt haben.

Welche Chancen gibt es überhaupt noch für eine demokratische Gegenöffentlichkeit?

BECK: Wertvolle Arbeit leistet zum Beispiel die Menschenrechtsorganisation „Memorial“. Sie setzt sich für die Aufarbeitung von Geschichte ein. Allerdings wird der Spielraum für solche Nichtregierungsorganisationen immer kleiner und die Kontrollmöglichkeiten durch die Behörden immer weitreichender. Auch im Bereich der Medien gibt es noch freie Nischen. Hier spielt das Internet eine zunehmend wichtige Rolle.

Glauben Sie, dass es bei der Zersplitterung der demokratischen Kräfte bleibt?

BECK: Die demokratische Opposition ist sehr heterogen. An diesen Differenzen ist ein Zusammenschluss bisher gescheitert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind auch denkbar ungünstig. Es wäre natürlich zu wünschen, dass sich die demokratischen Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr einigen. Aber ich bin da skeptisch.

Sie meinen, der Westen hätte in der Vergangenheit mehr tun müssen, um die russische Demokratie, auch die russische Zivilgesellschaft zu stärken?

BECK: In den 90er Jahren gab es im Westen die Hoffnung und sicher auch den Wunsch einer raschen Demokratisierung Russlands. Diese Erwartungen waren sicherlich überhöht. Jetzt stehen wir vor einer Situation, in der die russische Führung sich jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten verbittet und Oppositionelle schnell als westliche Agenten brandmarkt. Trotzdem: Wir Grünen unterstützen die zivilgesellschaftlichen Organisationen, so gut es geht.

Das Gespräch führte Jochen Loreck

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