Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Debatte zur Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland

Anlässlich des Besuchs des neuen russischen Präsidenten Medwedew debattierte der Bundestag am 5. Juni 2008 die Perspektiven Russlands und die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland. Lesen Sie hier den Redebeitrag von Marieluise Beck:

Die Kanzlerin hatte bei ihrem Besuch in Moskau im März signalisiert, dass dem neuen Präsidenten in Deutschland alle Türen offen stehen. Das war ein richtiges Signal.

Der Amtsantritt Medwedews ist eine Chance für ein neues Kapitel in den europäisch-russischen Beziehungen, eine Chance für Bewegung in zahlreichen Streitfragen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland ist alternativlos. Daher ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass die EU Außenminister am 27.05. das Verhandlungsmandat für ein neues Grundlagenabkommen der EU mit Russland verabschiedet haben. Wir rechnen damit, dass die Verhandlungen beim nächsten EU-Russland Gipfel eröffnet werden.

Ich möchte aber gleichzeitig vor Euphorie und übertriebenem Optimismus warnen.  

Medwedews Rede in Krasnojarsk hat den Westen aufhorchen lassen. Dort hat er auf den ersten Blick ein Plädoyer für die umfassende Modernisierung seines Landes auf der Basis von Rechtsstaatlichkeit gehalten. 

Bei genauerer Betrachtung dieser Rede Medwedews stellt man fest, dass er sich in erster Linie als Verfechter von rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen für Marktwirtschaft, Unternehmerfreiheit und Privateigentum darstellt.

Dies sind ohne Zweifel wichtige Ziele. Ihre Verwirklichung würde bedeuten, dass eklatante Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit, wie im Fall der Enteignung von Jukos und in den Prozessen gegen Chodorkowski und Lebedew, in Medwedews Russland nicht mehr vorkommen könnten.

Allerdings sprach Medwedew in Krasnojarsk von der Bedeutung persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit und Freiheit der Selbstfindung, nicht jedoch von politischer Freiheit. Ohne letztere wird es aber nicht gelingen, Russland auf den Weg der Modernisierung zu bringen, für die Medwedew so vehement eintritt. Rechtsstaatlichkeit bei ökonomischen Prozessen und die Wahrung der Menschen und Bürgerrechte sind zwei Seiten derselben Medaille.

Medwedew hat mehrfach den Rechtsnihilismus in der russischen Gesellschaft kritisiert. Solange aber die Machtelite selbst gegen Recht und Gesetz verstößt, kann sie von den russischen Bürgern keine Gesetzestreue erwarten. Beispiele für solche Verstöße gibt es viele.  Man denke allein an die Durchführung der Duma und Präsidentschaftswahlen. Die Umwandlung der Dumawahlen in ein Plebiszit für Putin ebenso wie die Umstände der Pseudo-Wahl Putins zum Vorsitzenden von Einiges Russland waren eklatante Verstöße gegen russische Gesetze. Schon Putin sprach bei seinem Amtsantritt von der Diktatur des Gesetzes. Doch in seiner Regierungszeit wurde alle Macht in der Exekutive konzentriert. Diesen Prozess umzukehren wird viel Anstrengung erfordern. Und es bleibt abzuwarten, ob eine solche Umkehr vom neuen Präsidenten tatsächlich gewollt wird.

Bei aller Skepsis jedoch teile ich die Hoffnung auf eine Neujustierung der russischen Innen  -und Außenpolitik und plädiere auch dafür, Medwedew beim Wort zu nehmen.

Ein erstes Signal, nämlich seine Ablehnung einer noch unter Putin initiierten Verschärfung des Mediengesetzes, ist positiv zu werten. Wie sich die Herabstufung der Registrierungsbehörde auswirkt, die NGOs mit ihren bürokratischen Anforderungen erstickt, bleibt abzuwarten. Eine wirksame Verbesserung der Lage von NGOs erfordert eine Liberalisierung der restriktiven Gesetzgebung. Die Verfolgung kritischer Journalisten muss eingestellt, politische Gefangene wie der Atomphysiker Igor Sutjagin freigelassen werden und die demokratische Opposition ungehindert arbeiten können.

In unserem Antrag, der heute debattiert wird, fordern wir eine Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland.  Die Verhandlung des neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens wird zum nächsten Prüfstein für die EU-Russland Beziehungen. Die Tatsache, dass Medwedew als ersten EU-Mitgliedstaat Deutschland besucht, macht die Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen deutlich. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen, vorausgesetzt, Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten unterlaufen nicht mit ihrer  Bilateralität die Formulierung einer gemeinsamen EU- Russlandpolitik. Nur wenn die EU geschlossen auftritt, kann sie ihre Interessen gegenüber Russland vertreten.

Das gilt besonders für den Energiebereich. Ausgerechnet dort sind die Voraussetzungen für eine einheitliche EU-Position ungünstig. Denn die 27 Energiemärkte unterscheiden sich hinsichtlich ihres Energieträgermixes, ihrem Grad an Importabhängigkeit und der Herkunft der Rohstofflieferungen deutlich voneinander. Dadurch entstehen Widersprüche zwischen bilateralen Projekten und gemeinschaftlich beschlossenen Prioritäten. Voraussetzung für eine einheitliche EU-Energieaußenpolitik im Verhältnis zu Russland ist daher zunächst ein funktionierender Energiebinnenmarkt. Hier ist die französische Ratspräsidentschaft gefragt, Fortschritte zu erzielen.

Die Liste der Herausforderungen, die sowohl Russland als auch die EU betreffen, ist lang. Setzen wir darauf, dass mit dem neuen Präsidenten in dieser schwierigen Beziehung ein Neuanfang gelingt.

Lesen Sie hier den Antrag der grünen Bundestagsfraktion: " Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken"

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