Am 7. Juni 2008 nahm ich an der Konferenz Dealing with Uncertainty in Belarus: Identifying Scenarios and Policy Responses in Vilnius teil. Veranstalter waren der German Marshall Fund of the United States und das litauische Eastern European Studies Center (EESC). Hier trafen sich Abgeordnete und Außenpolitiker aus der EU, Belarus-Experten diverser Stiftungen und Institute und Oppositionelle sowie Experten aus Belarus selbst. Thema war der Umgang mit der derzeit schwer durchschaubaren politischen Situation in Belarus. Leider erbrachte die Beratung, dass in Bezug auf eine angemessene Strategie für Belarus große Ratlosigkeit herrscht. Die schwierige Situation resultiert vor allem aus dem widersprüchlichen Verhalten des Minsker Regimes.
So führte die Energiepreissteigerung durch Russland nicht zu einer ernsten wirtschaftlichen Krise in Belarus; das Regime scheint nicht geschwächt. Die Stabilität in Belarus ist jedoch durch den Ausverkauf strategischer Industrien und Verschuldung durch die Regierung Lukaschenko an Russland erkauft. Der Druck auf oppositionelle Kräfte wurde erhöht. Und obwohl Russland die ökonomische Abhängigkeit Belarus beständig ausbaut und damit die Spielräume Lukaschenkos einengt, ist dieser bisher nicht wie erhofft auf die EU zugegangen.
Kontrovers diskutiert wurde die Frage einer Teilnahme der Opposition an den für den 28. September angesetzten Parlamentswahlen in Belarus. Ein Großteil der Anwesenden sprach sich für eine Teilnahme aus und spiegelte damit das Stimmungsbild unter den oppositionellen Parteien in Belarus wieder. Diese wollen den Wahlkampf nutzen, um ihre Programme und Ideen einer breiten Bevölkerung zu vermitteln. Ein Boykott sei erst sinnvoll, wenn die Registrierung durch die Wahlkommissionen verweigert worden sei. Gegenüber einer Wahlbeteiligung gab es auch kritische Stimmen von belarussischen Oppositionellen. Sie befürchten mit einer Teilnahme als Feigenblatt für undemokratische Wahlen herzuhalten und damit das Regime legitimieren zu helfen. Weiterhin sind sie um die größtenteils jungen oppositionellen Aktivisten besorgt, die im Wahlkampf verheizt werden könnten und sich vermehrt dem Risiko von Verhaftungen aussetzten. In dieser Kontroverse von außen eine Empfehlung zu geben, ist schwierig. Wir werden die Frage in den nächsten Wochen mit den belarussischen Partnern weiter diskutieren.
Ein weiteres umstrittenes Thema ist die Frage der Sanktionen. Viele Oppositionelle tragen an uns den Wunsch nach mehr Druck auf Lukaschenko durch die EU heran und fordern eine bessere Koordinierung mit der Belarus-Politik der USA. Die Amerikaner haben im letzten Jahr begonnen, neben Visabann gegen politisch Verantwortliche und die Festsetzung derer Guthaben auch sukzessive Sanktionen gegen den Öl-Konzern BelNefteChim auszuweiten. Der zu erwartende wirtschaftliche Niedergang des Landes werde auf diese Weise beschleunigt und Lukaschenko schließlich zu Kompromissen genötigt. Viele Europäische Politiker stehen allerdings der Wirkung von Sanktionen gegen Belarus skeptisch gegenüber und wollen die bestehenden gezielten Sanktionen gegen einzelne Funktionäre nicht auf die Wirtschaft ausweiten. Auch der ehemalige oppositionelle Präsidentschaftskandidat Alexandr Milinkewitsch hat sich kürzlich kritisch über die Ausweitung der amerikanischen Sanktionen geäußert. Diese könnten eine wirtschaftliche Krise heraufbeschwören und sich damit negativ auf die demokratische Entwicklung in Belarus auswirken. Auch diese Frage können wir nur gemeinsam mit den belarussischen Oppositionellen diskutieren.
Die in Vilnius anwesenden Oppositionellen berichteten von einem wachsenden Interesse der belarussischen Bevölkerung an der EU. Das solle die EU nutzen und mit der Eröffnung einer klaren europäischen Perspektive für Belarus unterstützen. Der Vorstoß Polens und Schwedens im Europäischen Rat am 28. Mai 2008 für eine neue Ostpolitik ginge in die richtige Richtung, auch weil er die Forderung nach Reiserleichterung und Förderung des Austauschs thematisiere. Beklagt wurde die Behäbigkeit der EU-Strukturen in der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und der Opposition in Belaus. So habe die EU in der Vergangenheit viele Chancen verspielt. Eine Entbürokratisierung der EU gegenüber Projekten der Zivilgesellschaft ist demnach dringend geboten und kann einen positiven Effekt auf die demokratischen Kräfte in Belarus entfalten.