Bericht vom Fachgespräch "Belarus nach den Wahlen" am 16. Oktober 2008 im Deutschen Bundestag.
Am 16. Oktober 2008 lud die grüne Bundestagsfraktion gemeinsam mit der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft, dem Europäischen Austausch, der Heinrich Böll Stiftung und der Konrad Adenauer Stiftung zu einem Fachgespräch zu Belarus in den Deutschen Bundestag ein. Die Veranstaltung stand ganz im Zeichen der Parlamentswahlen in Belarus vom 28. September, die trotz geringer Verbesserungen von der OSZE erneut als weder fair noch frei bewertet wurden. Wichtigstes Thema der Diskussionsrunden war der Wechsel zu einer neuen Dialogpolitik, der drei Tage zuvor von der EU beschlossen worden war. Die Erfolgsaussicht dieses Schrittes vor dem Hintergrund der Entlassung der letzten politischen Gefangenen und der anhaltende Verweigerung der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch das bislang Russland eng verbundene Belarus wurde kontrovers diskutiert.
Das erste Podium richtete noch einmal den Blick zurück auf die vergangene Parlamentswahl. Botschafter a. D. Dr. Walter Siegl, der für die politische Analyse der OSZE-Wahlbeobachtungsmission in Belarus zuständig war, betonte den weitgehend undemokratischen Charakter der Wahlen. Die von der OSZE festgestellten geringen Fortschritte etwa beim Zugang der Opposition zu Medien und Wahlkommissionen sowie bei der Kandidatenregistrierung bezeichnete er als Spurenelemente einer Verbesserung. Am Beispiel der regimetreuen Agrarpartei zeigte er, dass die Funktion von Parteien in der belarussischen Politik marginalisiert sei. Deren Kandidaten seien nicht durch die Partei sondern durch Unterschriftenlisten nominiert worden ein Verfahren, das eigentlich für parteilose Kandidaten vorgesehen ist. Walter Siegl brachte gleichwohl seine Hoffnung zum Ausdruck, dass Belarus die gemachten Fortschritte fortsetzen könne, etwa in den Bereichen Zugang zu Wahlkommissionen auf Ebene der Wahllokale, Medienzugang und Kandidatenregistrierung. So könnten aus den Spurenelementen eventuell Kristallisationspunkte werden, die eine Demokratisierung des autoritär regierten Landes fördern könnten.
Aleh Hulak, Vorsitzender des Belarussischen Helsinki-Komitees, und Ales Bjalatzki, Vorsitzender des Belarussischen Menschenrechtszentrums Wjasna, berichteten von der lokalen Wahlbeobachtung Menschenrechtler für freie Wahlen, die von den beiden Nichtregierungsorganisationen in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Austausch organisiert worden war. Rund 300 unabhängige Beobachter lieferten in den Wochen des Wahlkampfs und während der Abstimmung umfängliche Informationen über den Verlauf der Wahlen. Zu Beginn der lokalen Wahlbeobachtung seien die Menschenrechtler zunächst mit Hilfe der Steuerfahndung unter Druck gesetzt und öffentlich denunziert worden. Das Öffentlichmachen dieser Vorgänge seitens der Menschenrechtler habe zunächst zu einer spürbaren Erleichterung geführt. Nun nach der Wahl stünden die beiden Organisationen aber wieder unter starkem Druck und die alten Anklagen seien neu erhoben worden. Nach Einschätzung der lokalen Wahlbeobachter habe die Wahl weder den nationalen noch den Standards der OSZE entsprochen. In 14 der 110 Wahlbezirke habe es nur einen Kandidaten gegeben und am Wahlabend sei vielfach massive Wahlfälschung festgestellt worden. Noch nie in der Geschichte von Belarus sei mit einem Mehrheitswahlsystem das Parlament in nur einem Wahlgang ermittelt worden.
S. Schiffer, M. Beck, J. Romantschuk, R. Steenblock, A. Lachwinjetz, M. Sarrazin (v.l.)
Der Moderator des zweiten Podiums, der grüne Abgeordnete Rainder Steenblock, fragte die Podiumsteilnehmer nach ihrer Einschätzung der Wirksamkeit der bisherigen europäischen Sanktionspolitik und der Chancen und Perspektiven der neuen europäische Dialogpolitik der EU gegenüber Belarus.
Aljaxandr Lachwinjetz, außenpolitischer Berater des ehemaligen oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Aljaxandr Milinkjewitsch, zeigte sich grundlegend mit einer Dialogpolitik der EU mit Belarus einverstanden, da momentan die durch Russland infrage gestellte Unabhängigkeit des Landes von großer Bedeutung sei. Er beschrieb die Freilassung der letzten politischen Gefangenen im August und die Nichtanerkennung von Südossetien und Abchasien als wichtige Neuerungen der Politik der belarussischen Regierung. Sie zeigten, dass das Regime ein vitales Interesse an einem Dialog mit der EU habe um eine zu einseitige Abhängigkeit von Russland auszugleichen. Der belarussische Präsident sei allerdings weit davon entfernt, sich von Russland ab- und der EU zuzuwenden und habe kein Interesse an einer Demokratisierung des Landes. Nun sei ein konsequenteres Handeln der EU nötig, die eine Roadmap für eine sukzessive Annäherung entwerfen solle. Dem Regime in Belarus könne so ein Weg aufgezeigt werden, wie über westliche Investitionen die Abhängigkeit von Russland geschmälert werden kann. Ein weiterer wichtiger Schritt sei die Senkung der Visagebühren, die für Belarus fast doppelt so hoch seien wie für Russland und die Ukraine.
Unter den Gästen: P. Liesegang (dbg), M. Meckel (SPD), C. Israng (Kanzleramt) (v.l.)
Jaroslaw Romantschuk, stellvertretender Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei und Leiter des Wirtschaftsinstituts Ludwig von Mieses, berichtete von einer weiterhin stark ansteigenden ökonomischen Abhängigkeit des Landes von Russland, die bis zur Präsidentschaftswahl 2011 zu einer vollkommenen politischen Fremdbestimmung durch Russland führen könne. Der Versuch einer Annäherung Lukaschenkos an den Westen ziele vor allem auf westliche Investitionen um ein Gegengewicht zur russischen Wirtschaft bilden zu können. Die EU sollte sich dieses ökonomischen Hebels bewusst werden und anstatt auf Kompromiss und Dialog eher auf die Formulierung eines präzisen Forderungskatalogs mit festem Zeitrahmen setzen. Sie habe eine reale Chance, über klare Konditionalität Reformen in Belarus zu erreichen.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin begrüßte das Dialogangebot der EU als ein klares Signal, dass man Belarus als Teil Europas ansehe. Die Formulierung klarer Forderungen der EU an Belarus sei notwendig. Wichtig sei auch eine ständige Einbeziehung der Opposition in den Dialog der EU mit Belarus, auch wenn es mitunter schwierig sei, einen gemeinsamen Ansprechpartner der Opposition zu finden. Manuel Sarrazin verwies auf die Rolle des Austausch und der institutionellen Zusammenarbeit unterhalb der Staatsebene. Die Transformationsgeschichte vieler EU-Beitrittsländer habe gezeigt, dass durch das Teilen gemeinsamer Institutionen eine gemeinsame kulturelle Identität entstehen könne, die eine Integration vereinfache. Hierfür sei allerdings die Schaffung von Reiseerleichterungen elementar, um Begegnung zu ermöglichen. Die Forderung der Opposition nach westlichen Investitionen betrachtete er mit Skepsis, solange Belarus von Steuerwillkür und rechtsstaatlichen Defiziten gekennzeichnet sei.
Über 80 Gäste kamen zum Fachgespräch zu Belarus
Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin des Europäischen Austausch, kritiserte die Zeitpunkt der Lockerung der Sanktionen gegen Belarus, die so mit den undemokratischen Parlamentswahlen vom 28. September in Zusammenhang gebracht würden. Sie forderte, die Begleitung der Lockerung des Visumsbanns gegen Offizielle durch Reiseerleichterungen für die Zivilgesellschaft.
Prof. Dr. Rainer Lindner von der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie Vorsitzender der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft kommentierte den Vorwurf, das Dialogangebot der EU an Belarus käme zu spät und sei auf unglückliche Weise zeitlich mit den Parlamentswahlen verknüpft. Er betonte, dass das Signal der EU sowohl zu spät als auch zu früh gekommen sei. Geopolitisch sei es ein sehr spätes Signal, weil Russland derzeit über gemeinsame militärische Projekte eine Einbindung von Belarus in gemeinsame Sicherheitsstrukturen stark vorantreibe, die einen möglichen NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine im Vorfeld sicherheitspolitisch abzufangen suche. Es sei zugleich ein verfrühtes Signal, weil durch das Aufrechterhalten des Drucks auf der Basis des - derzeit noch ausstehenden - Abschlussberichts der OSZE-Wahlbeobachtung Änderungen in der belarussischen Wahlgesetzgebung hätten erreicht werden können. Rainer Lindner verwies auf die polnisch-schwedische Initiative für eine neue Ostpolitik der EU, die erstmals Belarus in die Europäische Nachbarschaftspolitik integrieren soll. Anfang Dezember werde von der EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner eine Präzisierung dieser Initiative vorgestellt. Die Senkung der Visagebühren stellte eine zentrale Forderung der polnisch-schwedischen Initiative dar. Rainer Lindner forderte, die EU möge neben der Intensivierung von grenzüberschreitender Zusammenarbeit etwa bei Transport und Energie als Teil der Konditionalität auch einen Medienrechts- und Menschenrechtsdialog mit Belarus fordern, der bisher von belarussischer Seite verweigert worden sei. Eine weitere Forderung sei die Rückkehr der Europäischen Humanistischen Universität aus ihrem Exil in Vilnius zurück nach Minsk.
Rainder Steenblock unterstrich die Notwendigkeit zur Senkung der Visumsgebühren, um den Austausch der Zivilgesellschaften nicht länger zu belasten und die Benachteiligung von Belarus gegenüber anderen osteuropäischen Staaten zu beenden. Wichtig sei weiterhin einen Monitoringprozess der EU, der die Entwicklung im Zeitfenster des folgenden Halbjahrs in Belarus genau beobachtet. Gleichzeitig gelte es die Unterstützung der Zivilgesellschaft in Belarus zu intensivieren.
Die grüne Abgeordnete Marieluise Beck verband ihr Resümee des Fachgesprächs mit einer Kritik an der Regierung, die sich nicht zur Unterstützung der grün-liberalen Initiative zur Aufhebung der Visumsgebühren für alle Menschen aus Belarus unter 26 Jahren habe durchringen können. Ebenso unverständlich sei die Verweigerung von Visumserleichterungen seitens der EU, die damit die Bevölkerung für die undemokratischen Verhältnisse in Belarus bestrafe. Die polnisch-schwedische Initiative für eine neue Ostpolitik der EU habe dieses Problem erkannt und die Forderung nach Visumserleichterungen formuliert. Austausch, Begegnung und das Kennenlernen offener Gesellschaften sei das wirksamste Mittel zur In-Frage-Stellung autoritärer Strukturen in Belarus.
Ein Dialogangebot der EU an Belarus könne heute richtig sein, so Marieluise Beck weiter, auch wenn es vor zwei Jahren noch bedenklich erschien, weil der Krieg in Georgien zwar nicht die geopolitische Lage, wohl aber die Rahmenbedingungen verändert habe. Das Fachgespräch habe gezeigt, dass dieser Dialog mit Belarus jedoch durch klare Konditionalität gekennzeichnet sein müsse. Es sei wichtig, in Beratung unter Einbeziehung der Opposition einen Korb von Forderungen zusammenzutragen, sowie die Reihenfolge und Größe der Schritte und deren Folgen gut zu überlegen. Hierbei gehe es darum, das Kräftespiel zwischen Anreiz und Sanktion feinfühlig auszutarieren. Der Abbruch der Beziehungen aufgrund von Sanktionsautomatismen sei ebenso nicht zu wünschen wie das Unterlaufen der Konditionalität durch voreilige Aufgabe zuvor gestellter Bedingungen falsch sei. Die Auflösung dieser Dilemmata sei die Aufgabe einer verantwortungsvollen EU-Politik gegenüber Belarus, die viel Geduld benötige.