Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Zwiespältige Bilanz: Kosovo nach einem Jahr Unabhängigkeit

Die albanische Bevölkerung des Kosovo erwartete von der Unabhängigkeit viel. Als sie nach langen Jahren der serbischen Unterdrückung, nach Krieg und Verwaltung durch die Vereinten Nationen (VN) erreicht war, herrschte großer Jubel. Die Aufbruchstimmung zeigt sich durch einen fast ungebremsten Bauboom in der schnell wachsenden Hauptstadt Pristina. Das Leben dort ist inzwischen fast so normal wie in jeder anderen großen Stadt Südosteuropas.

Doch nach einem Jahr ist die Bilanz zwiespältig. Die wirtschaftliche Entwicklung kommt nur sehr langsam voran. Die Zahl junger Menschen wächst schneller als die Zahl der Arbeitsplätze. Armut und Organisierte Kriminalität sind die Folge – auch dies eine häufige Erscheinung in den Staaten Südosteuropas. Aber auch die Etablierung eines funktionierenden Staatswesens ist trotz Hilfe der EU sehr problematisch.

Viele albanische PolitikerInnen und auch der EU war von Anfang an klar, dass der jüngste Staat der Welt - und mit ihm die Europäische Union - vor großen Herausforderungen stehen würde. Aber die Schwierigkeiten sind inzwischen sogar noch größer, als erwartet wurde.

Bisher haben 54 Staaten das Kosovo anerkannt, und nach wie vor ist auch die EU in dieser Frage nicht geschlossen. Fünf ihrer Mitgliedstaaten haben das Kosovo nicht anerkannt. Die Gründe sind meist in den ungelösten Minderheitenfragen im jeweils eigenen Land zu suchen. Man wollte keinen Präzedenzfall einer erfolgreichen Abspaltung anerkennen.

Diese Uneinigkeit hat Folgen: Statt eine fundierte rechtliche Grundlage für ihre Rechtsstaatsmission EULEX im Kosovo zu schaffen, hat sich die EU auf einen Kompromiss mit Serbien eingelassen, der ihre Glaubwürdigkeit gefährdet und eine Teilung des Kosovo riskiert. EULEX sollte nach der Unabhängigkeit die Nachfolge der VN-Mission UNMIK antreten und Hilfe beim Aufbau eines funktionierenden, rechtsstaatlichen Gemeinwesens leisten. Es ist die größte und ambitionierteste EU-Mission bisher.

Doch unter dem Druck der für die Ablösung von UNMIK notwendigen Zustimmung des VN-Sicherheitsrates, und damit unter dem Druck Russlands und Serbiens ließ sich die EU auf eine Vereinbarung ein, die den serbisch dominierten Norden des Kosovo formal weiter unter UNMIK-Kontrolle beläßt. EULEX kann dort nur unter deren Dach auftreten, und die kosovarische Regierung hat dort kaum Eingriffsmöglichkeiten.

Für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung und ihren Erfolg sind die Stabilisierung der kosovarischen Regierung und ihre enge Kooperation mit der EU wesentlich. Sichtbar wird die EU im Kosovo in der Gestalt der EULEX-RichterInnen und EULEX-PolizistInnen. Das Eingehen der EU auf die serbischen Forderungen hat zwar den Einsatz von EULEX erst ermöglicht, aber um den Preis der Souveränitätseinschränkung der Regierung im Norden. Dieser gehört im Alltag eher zu Serbien als zum Kosovo.

Die EU muss einer weiteren Unterminierung von Staatlichkeit und Einheit des Kosovo mit Nachdruck entgegentreten. Sonst wäre das Ziel eines multiethnischen Staats, wie es der Plan des VN-Vermittlers Martti Ahtisaari vorsah, verloren. Das Signal, das von einer solchen Entwicklung ausginge, wäre für den gesamten Balkan verheerend.

Ein Schlüssel für die weitere Entwicklung liegt im Verhältnis der EU zu Serbien. Von Belgrad ist eine Politik zu erwarten, die den Staatenbildungsprozess des Kosovo bremst. Die EU muss Belgrad gegenüber deutlich machen, dass eine Blockade von EULEX, der wichtigsten EU-Mission im Rahmen ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitikşş, im Widerspruch steht zum angestrebten EU-Beitritt Serbiens. Umfragen zufolge sind Kosovo-Serben zunehmend bereit, mit Albanern zusammenzuarbeiten. Gebremst wird vor allem im von Belgrad beeinflußten und finanzierten, mehrheitlich serbisch bewohnten Nordteil von Mitrovica. Dort haben die Radikalen das Sagen, die extrem nationalistische Partei des mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrechers Vojeslav Seselj.

Das Ansehen der EULEX-Mission im Kosovo wird entscheidend für die Zukunft sein. Doch der Weg ist lang. Angesichts der nach wie vor schwierigen wirtschaftlichen Lage ist das Potential für Unzufriedenheit groß. Nur der sichtbare Beweis, dass die Europäische Union beim Aufbau des jungen Staates helfen kann, wird im Kosovo den Glauben an eine bessere Zukunft aufrechterhalten.

Die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die große Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten vor einem Jahr bleibt richtig. Die Lage im Kosovo war acht Jahre nach der Einrichtung von UNMIK und KFOR politisch und wirtschaftlich nicht mehr akzeptabel. Eine neuerliche Eskalation war zu befürchten. Jetzt bedarf es der konsequenten Durchsetzung des eingeschlagenen Weges und des langen Atems beim Aufbau des Kosovo und der ganzen Region.

Lesen Sie hier eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zur Internationalen Präsenz im Kosovo mit Antwort der Bundesregierung.

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